Die Pfeiler der Macht
Schmerz durchfuhr sie, und sie stieß einen Schrei aus. Dann gab irgend etwas in ihr nach, und sie spürte eine ungeheure Erleichterung. Sie entzog sich dem Kuß und sah Hugh ins Gesicht. »Geht es dir gut?« fragte er. Maisie nickte. »War ich laut?«
»Ja, aber ich glaube nicht, daß dich jemand gehört hat.«
»Hör nicht auf«, bat sie.
Er zögerte noch. »Maisie«, murmelte er. »Ist das ein Traum?«
»Wenn es einer ist, dann laß uns noch weiter träumen.« Sie bewegte sich unter ihm und führte ihn, die Hände auf seinen Hüften, und Hugh fügte sich ihrer Regie. Es erinnerte ihn an den gemeinsamen Tanz vor ein paar Stunden. Maisie gab sich ganz ihren Empfindungen hin. Ihr Atem ging schneller, und Hugh begann zu keuchen.
Und dann hörte sie, ganz in der Ferne und jenseits ihrer gemeinsamen Atemgeräusche, wie eine Tür aufging. Aber sie war so sehr hingerissen von Hugh und seinem Körper und von ihren eigenen Gefühlen, daß sie nicht darauf achtete.
Da ertönte plötzlich eine laute rauhe Stimme; die Stimmung zerbrach wie eine Fensterscheibe, die von einem Stein getroffen wird. »Na, na, Hugh - was soll denn das?« Maisie erstarrte.
Hugh stöhnte verzweifelt auf, und sie fühlte, wie sich sein heißer Samen in sie ergoß.
Am liebsten wäre sie in Tränen ausgebrochen. Die hämische Stimme fuhr fort: »Was glaubst du eigentlich, wo du bist? In einem Bordell?«
»Hugh, bitte ... laß mich ...« flüsterte Maisie. Er zog sich von ihr zurück und glitt vom Bett. In der Tür stand sein Vetter Edward. Er rauchte eine Zigarre und glotzte die beiden an. Rasch bedeckte Hugh Maisie mit einem großen Handtuch. Sie setzte sich auf und zog es bis zum Hals hinauf. Edward grinste bösartig. »Wenn du mit ihr fertig bist, kann ich sie ja jetzt rannehmen, oder?«
Hugh wickelte sich ein Handtuch um die Taille. Nur mühsam gelang es ihm, seine Wut im Zaum zu halten. »Du bist betrunken, Edward«, sagte er. »Geh in dein Zimmer, bevor du etwas vollkommen Unentschuldbares von dir gibst.«
Edward ignorierte seine Bemerkung und ging auf das Bett zu.
»Ach nee - Solly Greenbournes Püppchen! Aber keine Angst, wenn du schön lieb zu mir bist, verrat' ich ihm nichts.« Maisie sah sofort, daß er es ernst meinte, und sie schauderte vor Ekel. Sie wußte, es gab Männer, die das Zusammensein mit einer Frau besonders erregte, wenn diese kurz zuvor mit einem anderen Mann geschlafen hatte - Aprils Vulgärausdruck für solche Frauen lautete »geschmierte Brötchen« -, und ihre Intuition sagte ihr, daß Edward zu diesen Männern gehörte.
Hugh schäumte vor Wut. »Raus hier! Verschwinde, du verdammter Idiot!« rief er.
Aber Edward ließ nicht locker. »Nun sei doch kein Spielverderber«, sagte er. »Sie ist schließlich bloß eine dreckige Hure.« Mit diesen Worten riß er Maisie das Handtuch fort. Sie sprang auf der anderen Seite aus dem Bett und bedeckte sich mit den Armen. Aber es war nicht mehr nötig. Mit zwei schnellen Schritten durchmaß Hugh das kleine Zimmer und versetzte Edward einen kräftigen Fausthieb auf die Nase. Sofort sprudelte Blut heraus, und Edward brüllte vor Schmerzen auf. Von Edward ging nun keinerlei Gefahr mehr aus, aber Hughs Zorn war noch nicht gestillt. Er schlug noch einmal zu. Edward schrie vor Angst und Schmerzen und stolperte blindlings zur Tür. Hugh setzte ihm nach und traf ihn noch mehrmals am Hinterkopf. »Laß mich!« kreischte Edward. »So hör doch auf, bitte!« Dann stolperte er über die Schwelle und fiel der Länge nach zu Boden.
Maisie folgte ihnen auf den Flur. Edward lag ausgestreckt auf d e m Boden, und Hugh saß auf ihm und schlug unablässig auf ihn ein.
»Hugh, hör auf, du bringst ihn noch um!« rief sie und versuchte, ihm in den Arm zu fallen, doch Hugh war dermaßen in Rage, daß er sich nur mit größter Mühe bändigen ließ. Sekunden später nahm Maisie aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung wahr. Sie sah auf und erblickte Hughs Tante Augusta. Sie stand in einem Morgenrock aus schwarzer Seide auf dem Treppenabsatz und starrte Maisie an. Im flackernden Licht der Gaslampe sah sie aus wie ein lüsternes Gespenst. Ein merkwürdiger Ausdruck lag in Augustas Augen. Im ersten Moment konnte Maisie sich keinen Reim darauf machen. Dann aber begriff sie und hatte auf einmal Angst. Es war ein Ausdruck des Triumphs.
Kaum hatte Augusta das nackte Mädchen erblickt, da spürte sie, daß sich ihr hier die Chance bot, Hugh Pilaster ein für allemal loszuwerden.
Sie erkannte
Weitere Kostenlose Bücher