Die Pfeiler der Macht
einer Weile wollte sie seinen Körper fühlen. Ihre Hände schlüpften in seine Weste und strichen über seinen Rücken. Unter dem dünnen Baumwollhemd spürte sie seine warme Haut. Ich benehme mich wie ein Mann, dachte sie. Ob er etwas dagegen hat? Aber sie konnte nicht mehr aufhören. Es war einfach zu schön.
Und dann begann es zu regnen.
Es fing nicht leise an, sondern geschah schlagartig: Ein Blitz, unmittelbar gefolgt von einem Donner, und der Regen prasselte los. Als sie sich voneinander lösten, waren ihre Gesichter bereits naß.
Hugh nahm Maisie bei der Hand und zog sie mit sich. »Komm mit ins Haus, da sind wir sicher!« rief er.
Sie rannten über die Straße. Hugh führte sie die Treppen hinunter zum Keller, vorbei an einem Schild mit der Aufschrift Dienstboteneingang. Als sie die Tür erreichten, waren sie bis auf die Haut durchnäßt. Hugh schloß auf. Mit dem Zeigefinger auf den Lippen bat er sie, sich leise zu verhalten, und ließ sie eintreten. Maisie zögerte einen winzigen Augenblick. Ich sollte ihn fragen, was er vorhat, dachte sie, aber der Gedanke verschwand ebenso schnell, wie er gekommen war.
Auf Zehenspitzen schlichen sie durch eine Küche, die so groß war wie eine kleine Kirche, und erreichten ein schmales Treppenhaus.
»Oben gibt es saubere Handtücher«, flüsterte Hugh ihr ins Ohr. »Wir benutzen die Hintertreppe.«
Maisie folgte ihm über drei lange Stiegen hinauf. Nach einer weiteren Tür standen sie auf einer Galerie. Hugh warf einen Blick in ein Zimmer, dessen Tür offenstand und in dem ein Nachtlicht brannte. In normaler Lautstärke sagte er: »Edward ist noch nicht zu Hause. Sonst wohnt hier niemand. Onkel und Tante haben ihre Räume ein Stockwerk tiefer, die Dienstboten schlafen ganz oben. Komm!«
Er führte sie in sein Schlafzimmer und drehte das Gaslicht auf.
»Ich hole uns Handtücher«, sagte er und entfernte sich. Maisie nahm ihren Hut ab und sah sich im Zimmer um. Es war überraschend klein und einfach möbliert: ein Einzelbett, eine Frisierkommode, ein schmuckloser Schrank, ein kleiner Schreibtisch. Sie hatte mit wesentlich mehr Luxus gerechnet - aber Hugh war eben ein »armer Verwandter«, und dieser Umstand spiegelte sich in seinem Zimmer wider.
Aufmerksam betrachtete sie seine Habseligkeiten. Er besaß zwei silbergefaßte Haarbürsten, in die die Initialen T. P. eingraviert waren Erbstücke von seinem Vater. Er las ein Buch mit dem Titel Das Handbuch des ehrlichen Kaufmanns. Auf dem Schreibtisch stand ein gerahmtes Foto, das eine Frau und ein ungefähr sechs Jahre altes Kind zeigte. Maisie zog die Schublade des Nachtkästchens heraus. Eine Bibel lag darin und, darunter verborgen, ein anderes Buch: Die Herzogin von Sodom. Du spionierst, warf sie sich vor und schob die Schublade schnell und schuldbewußt wieder zu.
Mit einem großen Stapel Handtücher in den Armen kehrte Hugh zurück. Maisie nahm sich eines. Es hatte in einem Trockenschrank gelegen und war warm und weich. Dankbar vergrub Maisie ihr Gesicht darin. Jetzt weiß ich, was es bedeutet, reich zu sein, dachte sie: angewärmte Handtücher, wann immer man sie braucht. Sie trocknete sich die bloßen Arme und ihren Busen ab. »Wer sind die beiden auf dem Foto da?« fragte sie Hugh. »Meine Mutter und meine Schwester. Meine Schwester kam erst nach dem Tode meines Vaters zur Welt.«
»Wie heißt sie?«
»Dorothy. Ich nenne sie Dotty. Ich hab' sie furchtbar gern.«
»Wo leben sie?«
»In Folkestone, an der Küste.«
Maisie fragte sich, ob sie die beiden je kennenlernen würde. Hugh zog den Schreibtischstuhl hervor und ließ sie Platz nehmen. Dann kniete er vor ihr nieder, zog ihr die Schuhe aus und trocknete ihr die Füße mit einem frischen Handtuch. Maisie schloß die Augen. Wie das weiche Handtuch über ihre Fußsohlen strich ... Es war ein wunderbares Gefühl.
Ihr Kleid war klitschnaß, und sie schauderte. Hugh zog sich Mantel und Stiefel aus. Maisie wußte, daß sie nie trocken werden würde, solange sie das Kleid anbehielt. Was sie darunter anhatte, war durchaus geziemend. Zwar trug sie keinen Schlüpfer - das taten nur reiche Frauen -, aber immerhin einen langen Unterrock und ein Leibchen. Aus einem Impuls heraus stand sie auf, drehte Hugh den Rücken zu und sagte: »Kannst du mir das Kleid aufmachen?«
Sie spürte, wie seine Hände zitterten, als er an den Haken und Ösen herumfingerte, die ihr Kleid zusammenhielten. Sie war selber nervös, aber es gab jetzt kein Zurück mehr. Als er fertig
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