Die Pfeiler des Glaubens
weiße Taufgewand aus Leinen, das in den Besitz der Kirche überging. Ibrahim hatte sich für diese Ausgaben Geld leihen müssen. Bevor die Taufzeremonie begann, vergewisserte sich der Pfarrer, dass Shamir nicht beschnitten war, und nach der Taufe säuberte Aischa dem Kleinen zu Hause den Kopf gründlich mit warmem Wasser, um ihn von der Salbung der Taufe zu reinigen.
Einige Nächte vor der christlichen Taufe hatte bereits eine andere Zeremonie stattgefunden: Sie hatten den Jungen gewaschen, in frische Kleider gehüllt und ihm Gebete ins Ohr geflüstert. Anschließend hatten sie ihn in Richtung der Qibla gehalten.
An diesem Sonntagnachmittag im März saßen die beiden Frauen im Patio zusammen. Fatima wiegte Shamir seit geraumer Zeit sanft hin und her. Sie sang ihm vor, lächelte ihn an und streichelte ihn. Aischa ließ sie gewähren.
»Was ist los mit dir?«, fragte Aischa schließlich, um das Schweigen zu brechen.
Fatima gab keine Antwort. Sie presste die Lippen zusammen, aber Aischa entging ihr plötzlich einsetzendes Zittern nicht.
»Mir kannst du es sagen, Fatima«, versuchte sie es noch einmal.
»Ich will mich von Ibrahim scheiden lassen«, gestand sie endlich.
Aischa atmete tief durch.
Die Blicke der beiden Frauen trafen sich. Plötzlich begann Aischa hem mungslos zu weinen, und auch Fatima wurde von ihren Gefühlen überwältigt.
»Endlich …« Aischa versuchte gegen die Tränen anzukämpfen. »Endlich werdet ihr flüchten. Ihr hättet das schon längst tun sollen, damals als Ibn Umayya starb.«
»Aber was geschieht jetzt?«
»Du wirst endlich glücklich sein!«
»Ich will damit sagen …«
»Ich weiß, was du sagen willst, meine Liebe. Mach dir um mich keine Sorgen.«
»Aber …«
Aischa streckte die Hand aus und legte ihre Finger sanft an die Lippen der jungen Frau.
»Fatima, ich freue mich für euch. Gott hat mich auf die Probe gestellt, und nach all dem Unglück hat er mich jetzt mit Shamir belohnt. Auch du hast genug gelitten und hast es verdient, wieder glücklich zu sein. Wir dürfen Gottes Willen nicht infrage stellen. Also genieße das, was Allah dir zugestanden hat.«
Aber was wird Ibrahim sagen? Fatima dachte mit Schrecken an den jähzornigen Maultiertreiber.
Am Sonntagabend besuchten die drei alten Männer Ibrahim in der Calle de Mucho Trigo.
Ibrahim stieß tausend Flüche aus, als ihm der Ältestenrat die Scheidungsabsichten seiner zweiten Frau mitteilte. Aischa und Fatima waren in eine Ecke des Zimmers geflüchtet.
»Was gibt euch das Recht, über meine Frau zu entscheiden?«
»Wir drei leiten diese Gemeinde«, erwiderte Jalil ruhig.
»Wer sagt das?«
»Im Moment diese drei hier«, stellte Karim – Mateo für die Christen – fest, und er zeigte zur Tür hinter sich.
Wie verabredet kamen auf einmal drei kräftige junge Morisken ins Zimmer und stellten sich hinter die alten Männer.
»Ibrahim, so weit muss es nicht kommen«, gab sich Hamid versöhnlich. »Du weißt genau, dass wir drei derzeit die Gemeinde leiten. Niemand hat uns gewählt, aber du sollst die Weisen ehren und die Alten achten. Das sind unsere Gesetze.«
»Was habt ihr vor?«
»Deine zweite Frau«, begann Jalil, »hat sich bei uns darüber beschwert, dass du sie nicht angemessen versorgst …«
»Wer kann das in dieser Stadt schon?«, schrie Ibrahim dazwischen. »Wenn ich noch meine Maultiere hätte … Die Christen beuten uns aus! Sie zahlen Hungerlöhne …«
»Ibrahim«, sprach Hamid ihn ruhig an, »sag nichts, solange du nicht weißt, wozu deine Aussagen führen können. Nach Fatimas Gesuch müssen wir ein Verfahren einleiten, und das haben wir getan. Wir sind hier, damit du Gelegenheit hast, deine Gründe vorzubringen, und damit wir die Zeugen anhören, die du benennst. Erst dann werden wir ein Urteil fällen.«
»Ha! Ich weiß genau, wie das aussehen wird. Du hast schon einmal ein Urteil gefällt! Erinnerst du dich? Damals in der Kirche von Juviles! Du wirst immer auf der Seite des Nazareners stehen!«
»Ich werde nicht selbst urteilen. Kein Richter kann ein Urteil fällen, wenn er um Dinge weiß, die sich vor dem Verfahren ereignet haben. Sei unbesorgt.«
»Ibrahim aus Juviles«, vermittelte Jalil, »deine zweite Frau Fatima hat sich darüber beklagt, dass du sie nicht richtig versorgst. Was kannst du mir dazu sagen?«
»Was ich dir dazu sagen kann? Dir?«, polterte Ibrahim los. »Einem Feigling aus dem Albaicín? Ihr habt eure Glaubensbrüder in den Alpujarras damals im Stich gelassen und
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