Die Pfeiler des Glaubens
aufkommen, für Essen und Trinken, für Kleidung, für Schuhe …« Der alte Mann blickte auf Fatimas Füße, die in eingerissenen, löchrigen Lederpantoffeln steckten, deren Korksohle nahezu abgelaufen war. »Außerdem muss er für eine angemessene Unterkunft sorgen. Wenn er das nicht kann, steht es der Ehefrau frei, die Scheidung zu verlangen.« Die junge Frau atmete tief ein, schloss die Augen und umklammerte das Brot für die Gefangenen. »Das ist nach unseren Gesetzen nur dann nicht möglich, wenn sie vor ihrer Heirat von seiner Armut wusste.«
»Wie bekomme ich meine Scheidung?«, platzte Fatima hoffnungsvoll heraus.
»Du musst zu einem Kadi gehen. Erkennt der Richter deine Gründe an, wird er Ibrahim eine Frist setzen, damit er seine Versäumnisse wiedergutmachen kann. Wenn ihm dies innerhalb von zwei Monaten gelingt, kann er zu dir zurückkommen. Wenn die Zeit aber ungenutzt verstreicht, verliert Ibrahim alle Rechte an dir, und du kannst eine Ehe mit einem anderen Mann eingehen.«
»Wer ist unser Richter?«
Der alte Mann überlegte.
»Hm. Eigentlich haben wir hier keinen echten Kadi. Ich würde allerdings sagen, dass Hamid oder Karim oder ich darüber bestimmen können.«
»Aber wenn wir keinen echten Kadi haben, wird Ibrahim sich weigern …«
»Nein. Ibrahim kann sich nicht nur dann auf unsere Gesetze berufen, wenn es ihm passt, und sie einfach ablehnen, wenn sie für ihn unangenehm sind. Er hat zwei Frauen, und das ist sein gutes Recht. Aber er muss sie auch versorgen können. Glaub mir, die Gemeinde ist auf deiner Seite, und mit ihr all unsere Sitten und Gesetze. Ibrahim kann nichts dagegen machen, weder bei uns noch bei den Christen. Schließlich bist du für sie mit Hernando verheiratet, oder?«
Fatima überlegte. Ja, aber was würde aus Aischa, wenn sie sich scheiden ließ? Und was, wenn … Jalil schwieg, überließ Fatima ganz ihren Gedanken und Gefühlen und bedeutete ihr schließlich weiterzugehen. Hernando hatte ganze Arbeit geleistet: Einer der Gefängniswärter stand schon bereit, um ihre mitgebrachten Speisen für die inhaftierten Morisken entgegenzunehmen. Fatima gab ihm gedankenverloren das Brot, ein paar Zwiebeln und ein Stück Käse. Dann trat sie wieder auf die Straße. Andererseits zeigte Ibrahim sich derzeit recht zufrieden mit seinem neuen Sohn. Aber wie lange würde dieser Zustand anhalten? Vielleicht bekam er ja noch mehr Kinder! Und wenn er die Kinder mit ihr wollte? Wenn er sie wieder … ? Als Ehemann war es sein gutes Recht.
»Jalil, ich will mich scheiden lassen«, sagte Fatima ernst.
Der alte Mann nickte und blieb stehen. Sie waren an der imposanten Puerta del Perdón angelangt – dem Eingang der Mezquita.
»In dieser Moschee musst du dem Kadi dein Anliegen vortragen.« Er zeigte auf das Gebäude und räusperte sich. »Fatima aus Terque, ich frage dich: Warum willst du dich von deinem Ehemann scheiden lassen?«
»Weil mein Ehemann, Ibrahim aus Juviles, nicht in der Lage ist, mich angemessen zu versorgen.«
Nachdem die Lakaien von Don Diego López de Haro mit Hernando gesprochen hatten und er erleichtert feststellte, dass ihn die Diener des Grafen von Espiel nicht mehr verfolgten, suchte der junge Mann das Gespräch mit Hamid. Sonntags war die Bordellgasse geschlossen, und der Alfaquí konnte sich auf der Calle del Potro frei bewegen. Alle Christen in Córdoba, der Bordellaufseher eingeschlossen, sowie die Mehrheit der Morisken waren auf der Plaza de la Corredera beim Stierkampf.
»Sie wollen, dass ich im königlichen Marstall von Córdoba arbeite«, berichtete der junge Mann nach ihrer Begrüßung. »Ich soll mich um die Pferde des Königs kümmern. Sie haben dort Hunderte Tiere. Sie züchten sie, und sie reiten sie zu, und sie brauchen Leute, die gut mit Pferden umgehen können.« Dann schilderte er Hamid den Vorfall mit dem Zuchthengst des Grafen. »Anscheinend ist Don Diego dabei auf mich aufmerksam geworden.«
»Ja, ich habe vom Marstall des Königs gehört«, bestätigte der Alfaquí. »Seit einigen Jahren lässt König Philipp dort eine neue Pferderasse züchten. Die Christen haben für die schweren, trägen Kriegspferde in Zeiten des Friedens keine Verwendung mehr. Nun ja, Spanien führt zwar noch einige Kriege in fernen Ländern, aber hier herrscht momentan Frieden. Du musst wissen, dass der Vater des Königs, Kaiser Karl, das Hofzeremoniell der Herzöge von Burgund übernommen hat und dass die Adligen kostbare Pferde brauchen, mit denen sie bei
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