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Die Pfeiler des Glaubens

Die Pfeiler des Glaubens

Titel: Die Pfeiler des Glaubens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildefonso Falcones
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Hernando. Das Tier ging mitten auf dem Weg in die Knie. »Um Gottes willen! Nein!«
    Hernando saß ab. Azirat war mit Schaum bedeckt, seine Flanken bluteten, die Nüstern waren unnatürlich aufgerissen. Hernando legte seine Hand auf das Herz des Pferdes: Es fühlte sich an, als würde es jeden Augenblick explodieren.
    »Was habe ich nur getan? Du darfst jetzt nicht auch noch sterben!«
    Der Tod! Beim Anblick des erschöpften Tieres fiel endlich der gehetzte Wahn von Hernando ab, in den er sich geflüchtet hatte. Ein unendlicher Kummer übermannte ihn. Er weinte hemmungslos, er brachte Azirat dazu, sich mühsam aufzurichten, und zwang ihn dann, im Schritt weiterzugehen. Das Pferd schwankte wie betrunken von einer Seite zur anderen. Hernando entdeckte einen Bachlauf neben dem Weg. Er ließ das Pferd nicht selbst trinken, sondern formte mit seinen Händen eine Schale, schöpfte ein wenig Wasser und bot es dem Tier an, aber Azirat konnte nicht einmal mehr das kühle Nass aufnehmen. Hernando befreite das Pferd von Sattel und Steigbügeln und zäumte es vollständig ab, dann tauchte er seine Marlota ins Wasser und rieb dem Tier damit vorsichtig über den Leib. Bei den blutigen Striemen in den Flanken, die er selbst mit den Sporen gerissen hatte, musste Hernando an Ubaids brutalen Umgang mit den Tieren denken. Er rieb Azirat noch einige Male ab, dann zwang er ihn, im Schritt weiterzugehen, und schöpfte immer wieder Wasser für ihn. Nach einigen Stunden reckte Azirat den Hals. Nun konnte er selbst im Bach trinken. Hernando ließ das Pferd seinen Durst stillen. Er setzte sich daneben, führte die Hände zum Gesicht und überließ sich hilflos seinem Kummer.
    Die Nacht verbrachten sie im Freien, am Ufer des Baches. Azirat graste, während Hernando unaufhörlich weinte. Er sah Fatima, Francisco und Inés vor sich, sie tanzten. Er hörte ihre Stimmen und ihr unschuldiges Lachen. Er heulte verzweifelt auf, als er ihren Geruch wahrnahm und meinte, ihre warmen Körper neben sich zu spüren. Er versuchte, die grausamen Bilder von Ubaids unsäglicher Gräueltat zu verdrängen, dabei tauchte immer wieder jene schon fast vergessene Erinnerung auf, wie er Gonzalicos Herz triumphierend in die Höhe gestreckt und es dann Isabel und ihm vor die Füße geworfen hatte.
    Am nächsten Tag ging er zu Fuß neben Azirat her. Andere Reisende wussten bei ihrem Anblick nicht, ob der Mann das Pferd zog oder ob das Pferd ein menschliches Wrack hinter sich herschleifte.
    Erst im Morgengrauen des dritten Tages wagte er, wieder aufzusitzen. Azirat schien sich inzwischen ein wenig erholt zu haben, und nach zwei weiteren Tagen erreichten sie schließlich die Calahorra-Festung und passierten die römische Brücke.
    »Warum willst du das wissen?«, schrie Aischa ihren Sohn noch in der Nacht seiner Rückkehr an, als die Trauergäste gegangen und sie endlich allein waren. »Ich habe es mit eigenen Augen gesehen! Ich habe mit eigenen Augen mit ansehen müssen, wie alle starben! Soll ich dir jetzt auch noch die Einzelheiten berichten? Ich konnte entkommen oder vielleicht … vielleicht wollten sie mich ja auch gar nicht umbringen. Dann bin ich die ganze Nacht durch die Berge geirrt, bis ich auf einen Weg kam, der zurück nach Córdoba führte. Das ist die ganze Geschichte.« Aischa ließ sich erschöpft in einen Stuhl sinken. Den ganzen Tag über hatte sie diese Lüge schon so oft erzählen müssen. Sollte sie ihrem Sohn nicht doch die Wahrheit sagen? Bei jeder Nachfrage der Trauergäste, bei jeder Beileidsbekundung, bei jedem stillen Händedruck hatte sie sein unfassbar trauriges Gesicht gesehen. Nein! Sie musste schweigen. Bestimmt würde Hernando sofort nach Tetuan eilen. Sie kannte ihren Sohn. Und dann würde sie auch noch ihr letztes Kind verlieren …
    »Warum ich das wissen will?«, murmelte Hernando, der mit geballten Fäusten auf der Galerie hin und her ging. »Mutter, ich muss es wissen! Ich muss sie bestatten! Ich muss den verdammten Mörder finden und …!«
    Aischa hörte aus seinen Worten den rasenden Zorn heraus. Noch nie zuvor hatte sie ihn so erlebt! Nicht einmal damals in den Alpujarras! Sie wollte etwas sagen, aber sie schwieg entsetzt, als sie bemerkte, wie sich Hernando mit abwesendem Blick die Haut am Handrücken aufkratzte.
    »Ich schwöre, dass ich ihn umbringen werde. Ich schwöre es«, beendete ihr Sohn den angefangenen Satz, während Blut über seine Hände lief.
    Sobald er zu Hause alles geregelt hatte, ritt er auf Azirats Rücken

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