Die Pfeiler des Glaubens
den Scherben eines Blumentopfes zurückgelassen. Aischa hatte es gefunden und an sich genommen, um es Hernando zu geben, doch dann hatte sie es sich anders überlegt: Sie wollte ihren Sohn nicht in noch tiefere Trauer stürzen. Sie kniete neben Ubaids sterblichen Überresten und band ihm das Tuch um den Hals. Dann stand sie auf und sah sich noch einmal um: Die Stille der Mittagsglut wurde nur durch das Surren der Insekten gestört, die über dem verwesenden Körper des Aufständischen schwirrten. Nun kam der wichtigste Teil ihres Planes: Der Camino de las Ventas war ganz in der Nähe. Sie packte die Leiche und zog sie fort. Aischa brauchte für die kurze Strecke zum Camino überraschend lange. Sie musste immer wieder stehen bleiben, ausruhen und sich vor allem vergewissern, dass sie niemand beobachtete. Aber schließlich hatte sie es geschafft. Mit einer letzten Kraftanstrengung zerrte sie Ubaids Leiche an den Wegrand des Camino de las Ventas. Beim Anblick des weißen Tuchs brach sie in einen heftigen Weinkrampf aus. Dann verbarg sie sich hinter einigen Bäumen und wartete darauf, dass jemand die Leiche fand. Erst jetzt spürte sie die schmerzhaften Stiche im ganzen Körper. Als die glühende Hitze am späten Nachmittag etwas nachließ, sah Aischa eine Gruppe Händler neben Ubaid haltmachen. Da verließ sie geduckt ihr Versteck und ging zurück nach Córdoba.
»Jemand soll die Leiche des einarmigen Monfí aus der Sierra auf dem Camino de las Ventas in der Nähe vom Gasthof Montón de la Tierra gefunden haben«, sprach sie einen der Wachposten an der Puerta del Colodro an. »Wisst Ihr schon mehr darüber?«
Für den Mann war es unter seiner Würde, einer Moriskin zu antworten. Aischa lächelte jedoch, als er sogleich zu seinem Vorgesetzten eilte. Nur wenig später machte sich ein Trupp Soldaten im gestreckten Galopp zu dem Gasthof auf.
Als Hernando abends von seiner ergebnislosen Suche aus der Sierra zurückkam, sah er eine große Menschenmenge vor der Puerta del Colodro stehen, darunter ungewöhnlich viele Wachen, Soldaten und sogar einige vornehm gekleidete Adlige. War das der Corregidor, der da geschäftig auf und ab ging?
Hernando bahnte sich mit Azirat einen Weg durch die Schaulustigen. Über die Köpfe der Menschenmenge hinweg konnte er eine männliche Leiche sehen, die an einen Pfosten gebunden war. So richtete die Santa Hermandad die Verbrecher, die sie außerhalb der Städte aufgriff. Ein Schauder fuhr ihm durch Mark und Bein. Dem Leichnam … fehlte eine Hand. Es war Ubaid!
Hernando achtete nicht weiter auf die Leute, die rätselten, ob dies nun der gefürchtete Monfí aus der Sierra Morena sei oder nicht, er hatte nur noch Augen für den toten Maultiertreiber aus Narila.
»He! Wo willst du mit deinem Pferd hin?« Ein Soldat stellte sich ihm in den Weg.
Hernando saß ab und übergab dem Soldaten die Zügel, der sie verblüfft entgegennahm. Er drängte sich zwischen den Adligen und Händlern hindurch zu Ubaids Leiche. Die Santa Hermandad hatte den Toten mit mehreren Speeren durchbohrt.
Plötzlich traten die Leute beiseite. Don Diego López de Haro kam mit herrischem Schritt auf Hernando zu.
»Ist das der Monfí?«, fragte ihn der Grande. »Du hast ihn doch gekannt. Ist das der Mörder deiner Familie?«
Hernando nickte.
Ein Raunen ging durch die Menge.
»Der wird keine Verbrechen mehr begehen«, versicherte der Oberbüttel der Santa Hermandad.
Hernando sagte kein Wort, er starrte nur auf das weiße Tuch, das um den Hals des Aufständischen gebunden war.
»Geh nach Hause, Junge«, sagte der königliche Oberstallmeister. »Ruh dich aus.«
»Das Tuch«, stammelte Hernando. »Es gehörte meiner Frau.«
Der Oberbüttel der Santa Hermandad beugte sich über die Leiche, knotete vorsichtig das Tuch auf und überreichte es Hernando.
Selbst durch den Dreck hindurch konnte Hernando den weichen, vertrauten Stoff fühlen. Er hielt sich das Tuch vors Gesicht und brach in Tränen aus. Es war ein befreites Weinen. Ubaid war tot, wenn auch nicht durch seine eigene Hand, und innerlich dankte er dem unbekannten Rächer von ganzem Herzen, der das Leben dieses Scheusals beendet hatte.
Aischa hatte sich in der Menschenmenge versteckt und ihren Sohn beobachtet.
»Ich werde mich um dich kümmern«, schluchzte sie, als sie ihren Sohn mit dem Pferd durch die Puerta del Colodro gehen sah.
Von nun an ließ Hernando sich umsorgen. Die Besessenheit der letzten Tage wich nun Trauer und Melancholie. Wozu sollte er nach so
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