Die Pfeiler des Glaubens
Hisham II. die Geschicke des Kalifats lenkte und der als der größte Heerführer gilt, den Córdoba je gesehen hat. Er griff Barcelona an und kam bis nach Santiago de Compostela, wo er die Glocken der Kathedrale raubte und von versklavten Christen nach Córdoba bringen ließ. Die Leuchter in der Moschee sind aus dem eingeschmolzenen Metall dieser Glocken. Ich habe in den letzten zwei Jahren viel über diese Zeit gelesen.«
Arbasia hörte seinem Gast aufmerksam zu und nahm nur hin und wieder einen Schluck Limonade.
»Al-Mansur war ein religiöser Fanatiker, der immer wieder brutal gegen die Vertreter der Künste und Wissenschaften vorging. Dabei war al-Hakam II. – Hishams Vater – einer der gebildetsten Kalifen Córdobas gewesen: Er hatte es sich zum Ziel gesetzt, das gesamte Wissen der Menschheit in Córdoba zu versammeln. Er schickte seine Gesandten in die entlegensten Winkel der Welt, damit sie dort alle nur erdenklichen Bücher und wissenschaftlichen Abhandlungen erstanden. In seiner Bibliothek gab es mehr als vierhunderttausend Schriften. Kannst du dir das vorstellen? Vierhunderttausend! Das sind mehr Bücher, als die Bibliothek von Alexandria je besaß.«
Hernando machte eine Pause, um einen Schluck zu trinken und um zu sehen, welchen Eindruck seine Worte bei dem italienischen Meister hinterlassen hatten. Arbasia nickte bedächtig, als versuchte er, sich diese überwältigende Ansammlung von Wissen vorzustellen.
»Al-Mansur befahl«, sprach Hernando weiter, »dass mit Ausnahme der Bücher über Medizin und Mathematik alle Schriften verbrannt werden sollten, die nichts mit der Offenbarung zu tun haben: Bücher über Astrologie, Musik, Logik, Philosophie, Poesie … Tausende Bücher, die ein einzigartiges Wissen bargen, wurden in Córdoba verbrannt!«
»Was für ein Frevel!«, flüsterte der italienische Meister entsetzt.
»In dem Schreiben berichtet der Kopist von dieser Verbrennung und von seinem Bemühen, der Nachwelt das Wissen aus einigen dieser Bücher zu erhalten, die er – anders als al-Mansur – für bewahrenswert hielt. Allerdings konnte er in der Eile nur fehlerhafte Abschriften davon anfertigen.«
»Vierhunderttausend!«, seufzte Arbasia.
Die beiden sagten eine Weile nichts, bis Arbasia seinen Gast aufforderte weiterzusprechen.
»Seither habe ich jede Nacht in diesen Abschriften gelesen und sie in den großen christlichen Folianten der Bibliothek versteckt. Darunter sind auch wunderbare Gedichtsammlungen und Traktate«, Her nando beugte sich vor und senkte die Stimme. »Es gibt auch eine alte Abschrift des Evangeliums, das dem Jünger Barnabas zugeschrieben wird.«
Bei der Nennung dieses Namens richtete sich der Maler auf.
»Die Gelehrten, die al-Mansur mit der Auswahl der zu verbrennenden Schriften betraut hatte, waren fest davon überzeugt, dass es sich um ein rein christliches Evangelium handle. Aber dieser Barnabas-Text – so der Kopist –, der lange vor dem Koran und noch dazu von einem Jünger Christi verfasst wurde, bestätigt den Islam. Der Kopist hielt dieses Barnabas-Evangelium für so bedeutend, dass er nicht nur eine Abschrift anfertigte, sondern sogar das Original vor dem Feuer rettete. Er schreibt zwar, dass er es in Córdoba verstecken wollte, aber nicht, ob ihm sein Vorhaben auch gelungen ist.«
»Was steht in dem Evangelium?«
»Im Großen und Ganzen sagt es, dass Jesus kein Gottessohn war, sondern ein Mensch – ein Prophet.« Hernando meinte, bei seinem Gegenüber ein Zeichen der Zustimmung zu erkennen. »Und dass nicht Jesus, sondern Judas gekreuzigt wurde. Dort steht auch, dass Jesus nicht der Messias ist und dass sowohl die Ankunft des wahren Propheten als auch die Offenbarung noch bevorstehe. Außerdem wird die Notwendigkeit der Waschungen und der Beschneidung dargelegt. Diesen Text hat jemand verfasst, der Jesus kannte und seine Taten miterlebte. Aber im Gegensatz zu den anderen Evangelien bestätigt er die Glaubensvorstellungen meines Volkes.«
Die beiden Männer schwiegen. Eine Dienerin wollte gerade einen frischen Krug Limonade bringen, aber Arbasia bedeutete ihr, sich wieder zurückzuziehen.
»Es ist bekannt, dass die Päpste die Evangelien manipuliert haben«, sagte Hernando noch.
Er erwartete, dass Arbasia auf seine letzten Worte reagierte, aber sein Gastgeber blieb ruhig – vielleicht etwas zu ruhig.
»Warum erzählst du mir das alles?«, fragte er nach einer Weile barsch. »Wieso denkst du …?«
»Heute«, unterbrach ihn Hernando, »habe ich
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