Die Pfeiler des Glaubens
betrachtete die Schriften, legte die einzelnen Blätter auf den kleinen Arbeitstisch und ging im Geiste ihren Gesamtumfang durch. Er überlegte bereits, wie er diesen außergewöhnlichen Schreibstil auf die Bleiplatten übertragen könnte. Bei einigen Blättern stutzte er: Er konnte sie nicht lesen. Die Schriftzeichen darauf waren weder lateinische noch die eigentümlichen arabischen Buchstaben, die sich Hernando ausgedacht hatte.
»Was ist das?«, fragte er.
»Ich nenne es das › Stumme Buch ‹ . Es ergibt keinen Sinn. Wie du siehst, sind diese Schriftzeichen wirklich nicht zu entziffern. Es hat mich einiges an Mühe gekostet, Buchstaben ohne jeden Sinn zu erfinden. Übrigens, hier ist noch ein Text.« Hernando suchte zwischen den Blättern. »Hier, in dieser Geschichte der Wahrheit des Evangeliums wird verkündet, dass die Aussage des Stummen Buches in ferner Zukunft offenbart wird. Die beiden Schriften beziehen sich aufeinander«, erklärte Hernando. Er überlegte, ob er den beiden Männern auch erzählen sollte, dass es dabei um das Barnabas-Evangelium ging, entschied sich aber dagegen. »Doch das wird erst dann eintreten, wenn die Christen bereit dafür sind, die wahre Botschaft – ohne die Verfälschungen ihrer Päpste – zu erhalten, nämlich den Beweis, dass es nur einen einzigen Gott gibt.«
Während Binilit seine Zustimmung flüsterte, hing Hernando der Idee nach, die ihn bei seiner Arbeit geleitet hatte. Die Schriften stellten ein vielschichtiges Rätsel dar, das um eine einzige Hauptfigur kreiste: die Jungfrau Maria. Die einzelnen Teile führten unweigerlich auf ein Ziel zu: das Stumme Buch, das in einer unverständlichen Sprache geschrieben war, vor der alle, die sich damit beschäftigten, kapitulieren würden. Aber wie er Binilit soeben erklärt hatte, kündigte eine der Schriften die Ankunft eines Textes an, der das Geheimnis lüften würde. Dieser Text war das Barnabas-Evangelium, das er so gut versteckt hielt. Sobald die Bleibücher akzeptiert würden, und damit auch dieses rätselhafte Stumme Buch, würde das Barnabas-Evangelium mit seiner geistigen Nähe zum Islam als die alleinige, über jeden Zweifel erhabene Wahrheit erscheinen.
»Einverstanden«, sagte der Silberschmied und riss Hernando aus seinen Gedanken. »Ich werde euch benachrichtigen, wenn ich so weit bin.«
Hernando griff zu seinem Beutel, um Binilit zu entlohnen, doch der Meister legte seine Hand auf Hernandos Schulter.
»Ich nehme für meine Arbeit nur, was ich für mein einfaches Leben brauche. Ich bin ein alter, bescheidener Mann. Ich möchte, dass die Muslime weiterhin den Schmuck ihrer Vorfahren tragen können. Also, bezahl mich erst, wenn die Christen das offenbarte Wort akzeptiert haben.«
Bei seiner zweiten Reise nach Jarafuel schloss sich Hernando unterwegs Händlern und Maultierkolonnen an, die er in den Gasthöfen traf, in denen er übernachtete. Die Strecke hielt aber nicht nur so unliebsame Überraschungen wie Wegelagerer bereit, sondern auch viele andere Begegnungen: mit Mönchen, die zwischen den Klöstern unterwegs waren, mit Gauklern, die von Dorf zu Dorf zogen, mit Ausländern, Zigeunern, Schelmen und unzähligen Bettlern, die man aus den Städten gejagt hatte und die nun auf den besonders frequentierten Strecken Reisende und Pilger um Almosen baten.
Am dritten Tag machte Hernando in Almansa halt. Dort musste er die breite, alte Römerstraße und somit auch die Händler mit ihren Maultierkolonnen verlassen, um die nächsten Meilen auf schmalen Pfaden allein zurückzulegen – und das wollte er lieber bei Tageslicht tun.
Am nächsten Tag ritt Hernando im Schritt auf einem einsamen Weg durch das fruchtbare, von Bergen umschlossene Tal. Das Kastell von Ayora thronte auf einem steilen Felsen vor ihm. Außer Estudiantes Hufklappern war nichts zu hören. Doch auf einmal stellte das Pferd die Ohren auf und weigerte sich weiterzugehen. Hernando sah sich um. Er konnte nirgendwo eine verdächtige Bewegung erkennen und trieb seinen Fuchs wieder an. Der ging nur zögerlich weiter und bewegte die aufgestellten Ohren unruhig hin und her. Plötzlich tat Estudiante einen Satz nach vorn und preschte im Galopp los. Hernando hielt sich an seinem Hals fest. Da sah er sie plötzlich: Nur wenige Schritte vor ihnen tauchten von beiden Seiten bewaffnete Männer auf, die ihre Gesichter vermummt hatten. Ein Bandit, mit einem alten Schwert bewaffnet, baute sich herausfordernd mitten im Weg vor ihnen auf. Hernando schrie und gab
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