Die Pfeiler des Glaubens
halb gezogenen Degens des Jurados mit ruhiger Stimme weiter. »Derzeit liegt einem Notar ein versiegeltes Schreiben vor«, log er, »in dem genauestens aufgeführt ist, was Ihr mit den Findelkindern anstellt. Darin sind sowohl die Namen der Kinder als auch die der übrigen Beteiligten genannt. Falls mir etwas zustoßen sollte, wird dieses Schriftstück sofort der Justiz übergeben.« Hernando konnte in den Augen seines Gegenübers erste Zweifel sehen. »Wenn Ihr mich umbringt, ist Eure Zukunft nichts mehr wert. Erinnert Ihr Euch an Elvira?«, sprach er weiter, um seine Drohungen zu untermauern. Der Jurado schüttelte den Kopf. »Ihr selbst habt dieses Mädchen als Neugeborenes der Amme Juana Chueca übergeben. An Juana Chueca könnt Ihr Euch sehr wohl erinnern, nicht wahr? Elvira wurde Angustias zum Betteln mitgegeben. Das Mädchen ist vor etwa einem halben Jahr verstorben, aber ihr Tod ist in den Akten der Bruderschaft nicht vermerkt.«
»Das ist Sache des Aufsichtsbeamten«, hielt ihm Don Martín entgegen.
»Meint Ihr wirklich, der Aufsichtsbeamte würde die gesamte Schuld allein auf sich nehmen? Denkt Ihr tatsächlich, die Frauen und die Bettlerinnen würden Eure Beteiligung daran verschweigen? Glaubt Ihr, sie würden nichts über das Geld sagen, das sie Euch jeden Abend übergeben?« Hernando konnte die wachsende Angst in den Augen des Jurados erkennen. »Ihr habt eine Tochter, die Ihr loswerden wollt, indem Ihr sie ohne Mitgift ins Kloster schickt. Lohnt es sich, Eure Ehre und die Eurer ganzen Familie wegen dieser Tochter aufs Spiel zu setzen?«
»Woher kennst du meine Tochter?«, wollte der Jurado wissen und warf Hernando einen argwöhnischen Blick zu. »Wann hast du sie gesehen?«
»Ich kenne sie nicht, aber ich habe von ihr gehört. Wir sind schließlich Nachbarn, Don Martín. Bedenkt meinen Vorschlag: Ihr bekommt mein Schweigen für die Tochter, die Euch zur Last fällt … und für Euer Ehrenwort, dass Eure Geschäfte mit den Kindern ein Ende haben. Ich schwöre Euch, dass ich darüber wachen werde! Gewiss, ich bin ein Neuchrist, aber ich arbeite für den Erzbischof von Granada. Hier, bitte.« Hernando überreichte Don Martín den Geleitbrief des Erzbistums, als dieser seinen Degen wieder zurück in die Scheide steckte. Doch der Jurado konnte nicht lesen, weshalb er nur einen Blick auf das Siegel des Domkapitels auf dem Dokument warf. »Damit habt Ihr eine Entschuldigung bei Euresgleichen. Ihr wisst, dass ich unter dem Schutz des Herzogs von Monterreal gestanden habe.«
»Ich weiß auch, dass sie dich aus dem Palast geworfen haben«, murmelte Don Martín spöttisch.
»Der Herzog hätte das niemals zugelassen«, erwiderte Hernando. »Er verdankte mir sein Leben. Denkt darüber nach, Don Martín. Spätestens morgen Abend erwarte ich Eure Antwort. Ansonsten …«
»Willst du mir etwa drohen?« Der Jurado trat einen Schritt zurück. Sein erstaunter Gesichtsausdruck sprach Bände.
»Merkt Ihr das erst jetzt? Das tue ich, seitdem Ihr mein Haus betreten habt«, antwortete Hernando und lächelte.
»Was ist, wenn meine Tochter nicht einwilligt?«, flüsterte der Jurado zähneknirschend.
»Sorgt zu Eurem eigenen Wohl und dem Eurer Kinder dafür, dass sie ihr Einverständnis gibt.«
Hernando beendete die Unterredung und geleitete den Jurado hinaus. Bei seiner Rückkehr in den Patio stand Miguel vor dem Stalltor. Tränen liefen über sein Gesicht. Mit den Händen an den Krücken konnte er sie weder trocknen noch aufhalten, aber er versuchte es auch gar nicht. Hernando bemerkte erst jetzt, dass er den verkrüppelten jungen Mann zum ersten Mal weinen sah.
Die Hochzeit fand Ende April statt. Hernando hatte von Miguel erfahren, dass Rafaela sich aus einem Geistesblitz heraus zunächst dem Vorschlag ihres Vaters, einen Morisken zu heiraten, verweigert hatte.
»Lieber gehe ich ins Kloster!«, hatte sie ihm entgegengeschleudert.
Da der Jurado wegen seiner Geschäfte mit den Findelkindern um seine Ehre und seine gesellschaftliche Stellung bangte, brachte ihn der Widerstand der Tochter in höchste Verzweiflung, und unter Schreien und Drohungen zwang er ihr schließlich scheinbar seinen Willen auf.
Die Eheschließung erfolgte ohne jegliche Feier oder sonstige Umstände – in Abwesenheit der beleidigten Geschwister der Braut und ohne Mitgift. Nach der Heimkehr vom Traugottesdienst begriff Hernando die Tragweite seiner Entscheidung. Rafaela betrat ihr zukünftiges neues Zuhause mit gesenktem Haupt und wagte kaum zu
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