Die Pfeiler des Glaubens
waren.
»Du bist doch derjenige, welcher die Hinrichtungen der Märtyrer in den Alpujarras zu rechtfertigen versuchte, der Sohn einer Ketzerin, nicht wahr?«, sprach ihn der Dekan mit eisiger Stimme an.
Hernando versuchte, sich dem Mann zu nähern, und rutschte auf den Knien mit ausgestreckten Armen auf ihn zu. Der Domherr wich zurück. Sofort stürzten Pförtner herbei.
»Ich …«, brachte er nur noch hervor, bevor ihn die Männer unter den Armen packten und in die Gruppe der Wartenden zurückzogen.
»Warum bittest du nicht deinen falschen Propheten um Hilfe?«, hörte er den Dekan hinter sich rufen. »Warum macht ihr das nicht alle?«, keifte er. »Gottverdammte Ketzer!«
67
A m Sonntag, dem 17. Januar 1610, dem Tag des heiligen Antonius, wurde in der ganzen Stadt der Erlass über die Vertreibung der Morisken aus den Reichen Murcia, Granada, Jaén, Andalusien sowie aus der Kleinstadt Hornachos ausgerufen. Zudem verbot der König, dass die Neuchristen Geld, Gold, Silber, Schmuck oder Wechsel aus seinen Reichen mitnahmen. Sie durften nur das Geld für den Weg bis zu ihrem Zielhafen – Sevilla im Fall der Morisken aus Córdoba – sowie für die Überfahrt mit sich führen. Für die Schiffspassage hatten sie selbst aufzukommen, und wohlhabende Morisken mussten die Reisekosten der ärmeren Glaubensbrüder übernehmen. Die Morisken verkauften ihr Hab und Gut zu Schleuderpreisen und deckten sich mit leichten, für den langen Weg geeigneten Waren ein: Tuche, Seidenstoffe oder Gewürze, allerdings zu Preisen, die weit über den marktüblichen lagen.
Hernandos Familie saß im Esszimmer hungrig vor ein paar Brocken ungesäuertem Brot, von dem Rafaela versuchte, die grüne Schimmelschicht abzukratzen. Hernando setzte an, seinen Kindern ihre Situation zu erklären.
»Kinder …«
Seine Stimme versagte bei dem Gedanken an das, was er ihnen nun mitteilen würde. Er sah zu seinen Kindern: Amin, Laila, Muqla, Musa und Salma. Er sammelte sich und wollte weitersprechen, doch die Anspannung der letzten Monate übermannte ihn, und er konnte nur noch die Hände vors Gesicht halten und hemmungslos weinen. Die Kinder blickten erschrocken zu ihrem Vater. Laila und die kleine Salma brachen ebenfalls in Tränen aus. Da stand Miguel schwerfällig auf und wollte die beiden Kleinen auf ihr Zimmer bringen.
»Nein.« Rafaela hielt ihn zurück. Ihr Gesicht war von ungeheurer Erschöpfung gezeichnet, doch ihre Stimme klang ruhig. »Setzt euch alle hin.« Als Miguel wieder Platz genommen hatte, sprach sie weiter. »Ihr müsst wissen, dass euer Vater, Amin und Laila sehr bald aus Córdoba wegziehen. Und ihr anderen bleibt hier bei mir.«
Rafaela brachte mit letzter Kraft eine Art Lächeln zustande, also lächelte auch Salma, die nichts von all dem verstand.
»Wann kommen sie wieder?«, fragte der kleine Musa.
Hernando nahm die Hände vom Gesicht und sah Rafaela traurig an.
»Also, Kinder, es wird eine sehr lange Reise sein«, antwortete sie. »Euer Vater und eure Geschwister werden an einen Ort reisen, der ganz weit weg liegt.«
»Mutter!« Die verzweifelte Stimme ihres Erstgeborenen brach die Stille nach Rafaelas Worten. »Warum könnt ihr nicht mit uns kommen, Onkel Miguel und die anderen?«
Amin hatte dem Ausrufer in der Straße aufmerksam zugehört, und er begriff sehr wohl, was der Erlass für seine Familie bedeutete. Er wusste, dass man sie aus Spanien auswies und dass dies für sie eine Reise ohne Rückkehr werden würde.
»Denn wenn sie das nicht tun und dem Erlass nicht Folge leisten und noch in den genannten Reichen und Lehen angetroffen werden, ganz gleich in welchem Zustand«, hatte der Ausrufer verkündet, »so stehen darauf als Strafen der Tod und die Beschlagnahmung ihres gesamten Besitzes, und die Strafen ergehen allein aufgrund des Vergehens, ohne Verfahren, ohne Urteil und ohne Anhörung.«
Bei ihrer Heimkehr würde man sie ermorden! Amin hatte richtig verstanden: Jeder Christ durfte sie ohne Gerichtsverfahren und ohne jede weitere Erklärung einfach umbringen.
»Ja! Lasst uns zusammen verreisen«, schlug Musa vor.
Rafaela seufzte. Die Unbedarftheit ihres jüngsten Sohnes zerriss ihr das Herz. Sie sah Hilfe suchend zu ihrem Mann, aber Hernando schwieg und wirkte abwesend, so als wäre er bereits fort.
»Es ist der Wille Gottes«, sagte Rafaela schließlich.
»Aber der König …«, widersprach Laila.
»Nein, Kinder.« Alle Blicke richteten sich nun auf Hernando. »Gott will es so, eure Mutter hat
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