Die Pfeiler des Glaubens
seine Lippen und küsste es. Doch anders als sonst hielt er es fest zwischen den zitternden Fingern, so als widerstrebte es ihm, das Amulett loszulassen.
In der Nacht lagen die beiden in ihrem Bett, Rafaela mit geröteten Augen. Sie verbrachten die letzten Stunden mit Schweigen, als versuchten sie, alles um sich herum in ihr Gedächtnis aufzunehmen: die Gerüche, das Ächzen der Holzmöbel, das Plätschern des Wassers unten im Patio, die Rufe auf der Straße, das regelmäßige Atmen der Kinder, das sie auch durch die Türen zu vernehmen meinten.
Rafaela schmiegte sich eng an ihren Mann. Sie wollte nicht daran denken, dass dies die letzte Nacht sein sollte, in der sie beisammenlagen, und dass sie fortan allein in dem Bett schlafen würde. Ohne nachzudenken, entschlüpften ihr die Worte.
»Nimm mich«, bat sie ihn.
»Aber …« Hernando strich ihr zärtlich übers Haar.
»Ein letztes Mal«, flüsterte sie.
Hernando drehte sich zu seiner Frau um. Sie saß aufrecht auf dem Bett. Zu seiner Überraschung zog sie das Nachtgewand aus und zeigte ihm ihre Brüste. So nackt wie sie war, legte sie sich hin, ohne jede Scheu.
»Das bin ich. Kein anderer Mann wird mich je so sehen, wie du mich jetzt siehst.«
Hernando suchte ihre Lippen und küsste sie, zunächst zärtlich, doch dann ergriff ihn eine Begierde, die er seit Langem nicht mehr gespürt hatte. Rafaela zog ihn an sich, als wollte sie ihn für immer festhalten.
Sie liebten sich und verharrten bis zum Morgengrauen in ihrer engen Umarmung. Keiner der beiden fand in den Schlaf.
Die Rufe von der Straße und die Schläge gegen ihre Tür ließen sie verstummen. Sie hatten das Frühstück gerade beendet und waren alle in der Küche versammelt, in den Ecken lagen die Bündel. Es war wenig Gepäck für eine so lange Reise, dachte Rafaela. Sie wollte nicht erneut in Tränen ausbrechen. Doch bevor sie sich wieder ihrer Familie zuwandte, hatten sich Amin und Laila bereits auf sie gestürzt und umklammerten ihre Hüfte, damit niemand sie auseinanderbrachte.
Die harschen Worte von der Straße mischten sich mit dem allgemeinen Schluchzen im Haus. Wieder hämmerte es gegen die Tür.
»Im Namen des Königs, Tür auf!«
Nur der kleine Muqla wahrte eine sonderbare Ruhe, seine blauen Augen waren die ganze Zeit über auf seinen Vater gerichtet. Die beiden Kleinen heulten los, und Rafaela konnte sich nicht mehr beherrschen, in die Umarmung mit ihren Kindern versunken, gab sie sich ungehemmt ihren Tränen hin.
»Wir müssen los.« Hernando räusperte sich, bevor er den Satz hervorbrachte. Er hielt Muqlas Blicken nicht mehr stand. Niemand hörte auf seine Worte. »Los!«
Er versuchte, die beiden Älteren von ihrer Mutter zu trennen, was ihm erst gelang, als auch Rafaela ihn dabei unterstützte. Hernando schulterte die kleine Truhe und ein großes Bündel, Amin und Laila nahmen den Rest an sich.
Die enge Gasse vor der Tür bot ein trostloses Bild: Die Milizen, die man unter dem Befehl der jeweiligen Jurados für jeden Pfarrbezirk in Córdoba aufgestellt hatte, gingen auf ihrer Suche nach den registrierten Morisken von Haus zu Haus. Hinter Don Gil Ulloa und den Soldaten, die Hernando vor seinem Haus mit hämischer Miene erwarteten, drängten sich zahllose Morisken mit ihrem Gepäck. Alle warteten darauf, dass Hernando sich mit seinen älteren Kindern einreihte, ehe es weiter zum nächsten Haus ging.
»Hernando Ruiz, Neuchrist aus Juviles, und seine Kinder Juan und Rosa, jeweils älter als sechs Jahre.«
Ein Schreiber begleitete Gil und seine Soldaten mit einem Verzeichnis in der Hand und überprüfte die Namen. Neben ihm stand der Pfarrer von Santa María.
Hernando nickte und passte auf, dass seine Kinder nicht wieder zu ihrer Mutter zurückstürzten, die in der Haustür stehen geblieben war. Amin und Laila blickten unentwegt zu der Menge der Vertriebenen, die schweigend, niedergeschlagen und besiegt hinter den Soldaten stand.
»Los, geht zu den anderen!«, befahl ihnen Gil.
Hernando stand in der Tür, drehte sich ein letztes Mal zu Rafaela um und lächelte sie an. Es war alles gesagt. Er umarmte seine drei Kinder, die er zurücklassen musste, und überhäufte sie zum Abschied mit Küssen.
»Los!«, herrschte ihn der Jurado an.
Hernandos Herz raste, und er biss sich mit geröteten Augen auf die Unterlippe. Für den Abschied von seiner Familie fehlten ihm die Worte. Er wollte gerade dem Jurado gehorchen, da stürmte Rafaela zu ihm, umschlang seinen Hals und küsste ihn ein
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