Die Pferde vom Friesenhof 01 - Start mit Hindernissen
die Mädchen und ihre Mutter, während Lea ihn von Magics Rücken aus betrachtete. Wie in einem Detektivfilm, dachte Lea, jeder beobachtet jeden.
Hinter Herrn Ingwersen schob sich ein breiter Körper mit dichtem Fell ins Blickfeld, rotbraun, auf vier kräftigen Beinen. Kopf und Hinterteil wurden von zwei Strandkörben verdeckt. Zweifellos gehörte das Fell zu einem großen ... Ja, zu was?, rätselte Lea.
»Habt ihr etwa Shetlandponys?«, fragte sie Henning. »Wir? Nein, Strandkörbe.« Irritiert strich sich Henning durch das sandblonde Haar, hüpfte auf einem Bein herum und folgte Leas Blick.
Das Tier kam jetzt vollständig zum Vorschein. Kein Shet- ty, obwohl der Rücken breit genug für einen Sattel war, sondern ein riesiger Hund mit Hängeohren und aufmerksamem, gutmütigem Gesicht. Er sah aus wie ein Bernhardiner-Neufundländer-Mix.
»Das ist aber ein prächtiger Leonberger«, sagte Leas Mutter und hielt Flicka an. »Der passt sicher gut auf Ihr Strandkorblager zu Hause auf. Es sind hervorragende Wächter, die Leonberger.«
Ingwer Ingwesen wischte sich die Hände an der Hose ab und verließ seine Deckung hinter den Körben.
»Stimmt«, sagte er mit Misstrauen in der Stimme. »Woher kennen Sie Leonberger? Die sind nicht sehr häufig.« »Ich bin Tierärztin.« Frau Eichhorn beugte sich aus dem Sattel und streckte dem blonden Mann ihre Hand hin. »Meike Eichhorn. Wir haben den Friesenhof am Leuchtturmweg gekauft.«
Lea und Klara verfolgten gespannt, wie Herr Ingwersen reagierte. Bei dem Wort »Friesenhof« ließ er die Hand ihrer Mutter so schnell los, als hätte er sich verbrannt. »Ach«, sagte er nur spröde. Wäre Herr Ingwersen eine Schnecke, dachte Klara, würde er jetzt in sein Schneckenhaus zurückkriechen. Weil er aber keine Schnecke war, zog er sich in einen seiner Strandkörbe zurück und murmelte: »Hab noch viel zu tun.«
»Auf gute Nachbarschaft!«, sagte Meike Eichhorn herzlich und ritt wieder los. Der rotbraune Hund trottete ein paar Schritte mit, machte aber einen Rückzieher, als Herr Ingwersen rief: »Hierher, Leon!«
Niels warf Klara bewundernde Blicke zu, während sie den Sattelgurt von Luna nachzog. Als sein Bruder sich umdrehte, sagte er schnell: »Tschüs, du.«
»Tschüs, Niels«, sagte Klara. Das klang ruhig, dabei klopfte ihr Herz bis zum Hals. Dass ihr ausgerechnet in so einem Nest ein Junge wie Niels über den Weg lief, hätte sie im Leben nicht gedacht. Supersportlich sieht er aus, dachte sie, einfach Klasse. Sein blondes Haar war von Sonne und Salzwasser fast weiß gebleicht. Klara hätte sonst etwas dafür gegeben, sich länger mit ihm zu unterhalten. Aber von seiner Schwester Nelly wusste sie ja, dass Familie Ingwersen nichts mit dem Friesenhof zu tun haben wollte. Zum Teufel mit der letzten Nacht! Wie sollte sie unbefangen mit Niels reden?
Unschlüssig blieb Klara bei den Strandkörben stehen und warf Niels noch einen Blick zu, dann kicherte Lea hinter ihr. Klara lief rot an und ritt eilig los, ohne sich umzudrehen, bis sie ihre Mutter auf Flicka erreicht hatte. Lea bummelte hinterher.
Vom Meer folgte ihnen der Geruch von Algen und Salzwasser. Die Sonne stand jetzt direkt vor ihnen. Sie überquerten den Deich und ritten auf dem leeren Leuchtturmweg weiter. Außer dem gleichmäßigen Getrappel der Hufe war es still. Eine schöne Morgenstimmung lag über der Küste, richtig feierlich wurde Klara zumute. Auf einmal drängte es sie, ihrer Mutter doch von dem Nachtbesuch der vier Mädchen zu berichten. Gerade, als Klara sich dazu entschlossen hatte, sagte Meike Eichhorn: »Wortkarg sind sie immer noch, die Westerbüller. Aber ehrlich und anständig. Das ist die Hauptsache. Mit ihrer rauen Art werden wir schon fertig, was meinst du, Klara?«
Klara schluckte. Konnte sie ihrer Mutter von ihren Vermutungen erzählen, vom Reitverbot der Westerbüller Eltern? Ausgerechnet jetzt, wo ihre Mutter glaubte, dass sie bei allen willkommen war?
»Klar, Mama. Die raue Art stört uns nicht.«
Klara dachte an Niels Ingwersen. Den fand sie überhaupt nicht rau und spröde. Eher verlegen. Bestimmt war er romantisch. Klaras Herz machte einen Hüpfer.
Nur zwei Worte hatte dieser Niels mit ihr gewechselt, aber die hatten es in sich, fand Klara. Hätte er nur ein Wort gesagt, nur »tschüs«, wäre das total unverfänglich gewesen. »Tschüs« bedeutete nichts. Aber »tschüs, du« war eine ganz andere Größenordnung. »Tschüs, du« hieß nach Klaras Meinung: »Hi, Mädchen, ich weiß nicht,
Weitere Kostenlose Bücher