Die Pferde vom Friesenhof 03 - Flucht bei Nacht und Nebel
wahr würde.« Redakteur Lettermann seufzte. Tipo von der Rennbahn freizukaufen, musste ein Traum bleiben. Leider. Erneut musterte er Tipos Foto und grübelte. Konnte er nicht doch etwas für den Renntraber tun? Und für die Mädchen vom Friesenhof?
Uli Lettermann strich sich über den Bart. Ein Teil des Problems ließ sich mit Geld lösen. Während ein guter Traber sehr teuer war, kostete ein untauglicher nicht mehr als tausendfünfhundert bis zweitausend Euro. Das hatte er auf der Rennbahn herausgefunden und im Internet überprüft.
Uli Lettermann schwirrte ein Plan durch den Kopf. Er zog seine Brieftasche hervor und überschlug die Summe der Euroscheine. Es war ein großer Betrag, wie er ihn normalerweise nicht bei sich trug. Die zweitausendein- hundertundfünfundsiebzig Euro gehörten aber nicht ihm, sondern der gesamten Redaktion. Vorgesehen war das Geld für den Besuch eines Musicals. Der Chef des »Seestedter Tageblattes« lud zu diesem Betriebsausflug ein, denn er war ein großer Musicalfan. Letzte Woche hatte er Uli Lettermann das Geld für neunundzwanzig Eintrittskarten gegeben, die er in St. Peter-Ording kaufen sollte.
Wenn die ganze Redaktion auf den Ausflug verzichtete, rechnete Lettermann aus, hatte er Tipos Kaufpreis zusammen. Ganz in Ordnung wäre diese Geheimaktion nicht, dachte er ohne schlechtes Gewissen, das Geld war ausdrücklich für das Musical bestimmt. Aber dass sein Boss nicht über die Rennbahn berichten wollte, war schließlich auch nicht okay.
Genüsslich malte sich Uli Lettermann sein Gesicht aus, wenn er ihm sagen würde: »Unsere Redaktion ist sehr tierlieb. Wir geben das Geld lieber für ein misshandeltes Pferd aus als für ein paar Stunden Musik.«
Lettermann griff zum Hörer und telefonierte mit allen Kollegen in der Redaktion. Schließlich musste jeder seinem Plan zustimmen.
Kurze Zeit später ging es in seinem Büro zu wie in einem Taubenschlag, Tür auf, Tür zu. Mitarbeiter flatterten herein, verteilten sich diskutierend auf Schreibtischen und Aktenschränken und ließen sich die Geschichte von Tipo erzählen und von den Pferdebesitzern, die verhindern wollten, dass der Skandal veröffentlicht wurde.
Mit Engelszungen redete Uli Lettermann auf seine Kollegen ein. »Ein freigekaufter Traber ist wichtiger als ein Musikabend.« Er beschwor sie alle, die Redakteure und Grafiker, Fotografen und Sekretärinnen. »Über diese gute Tat freut ihr euch noch, wenn ihr in Rente geht. Und der Chef verdient einen Denkzettel.«
Die Sache lief problemloser ab, als er gedacht hatte. Alle nahmen Anteil am Schicksal des Trabers, den sie mit Dopingmitteln vollpumpten. Einige Kollegen sträubten sich ein bisschen, auf die wertvollen Musicalkarten zu verzichten. Aber auch die ließen sich letzten Endes überzeugen.
Lettermanns Kollegen gingen wieder an ihre Arbeit.
Als er allein war, betrachtete er noch einmal Tipos Foto. Plötzlich fand er seine Augen nicht mehr traurig. Zufrieden griff er ein letztes Mal zum Telefon und suchte im Namensregister unter F nach Friesenhof. Pfeifend tippte Uli Lettermann die Nummer ein und rief Klara Eichhorn an.
Es war bereits Abend, als er Klara erreichte. Markus Eichhorn war soeben nach Hamburg abgefahren.
Klara saß mit Lea, Kim und Emma in der Wohnküche beim Essen, als sie den Anruf vom »Seestedter Tageblatt« erhielt. Der Apparat lag neben ihrer Teetasse. Klara ging meistens ans Telefon, wenn ihre Mutter in der Tierarztpraxis arbeitete.
An den anderen Tischen unterbrachen die Ferienmädchen das Essen, als sie Klara mit Uli Lettermann reden hörten. Ungeduldig rutschten sie über die lange Bank unterm Fenster zu Klara hinüber. Sie balgten sich um die besten Plätze und krochen fast in den Hörer. Teresa stieß dabei eine Teetasse um, die zwanzigste in ihren Ferien. Sosehr die Mädchen die Köpfe verrenkten, sie schnappten nichts auf. Plötzlich stieß Klara einen gellenden Schrei aus. Mit einem wahren Freudengeheul sprang sie von der Bank auf und fiel allen um den Hals, die in ihrer Nähe saßen.
»Sie kaufen Tipo frei«, jubelte sie, »die Redaktion hat Geld für ihn gesammelt! - Wie, Herr Lettermann? Ja. Okay, ich frage schnell. Bleiben Sie dran.«
Sie drückte Lea das Telefon in die Hand. »Ich sause rasch zu Mama in die Praxis. Ich soll fragen, ob unsere Eltern Tipo aufnehmen. Als Geschenk.«
Über den Verbindungsflur stürmte Klara in das menschenleere Wartezimmer und riss die Praxistür auf.
»Die Redaktion will Tipo kaufen!«, schrie sie,
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