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Die Pflanzenmalerin

Titel: Die Pflanzenmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Davies
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nachmittags um diese Zeit schläft sie, sodass ich gut arbeiten kann. Sie hat nichts dagegen, wenn ich diesen Raum benutze. Zum Glück, denn das Licht ist hier weitaus am besten.«
    Sie sprachen an jenem Nachmittag über Zeichnungen von Eichenblättern und Eicheln, an denen sie gerade arbeitete. Großartige Zeichnungen, fand er, überaus lebendig und doch äußerst detailgetreu. Sie aber schien mehr zu erwarten und drängte ihn zu weiteren Kommentaren. Schließlich sah sie ihn an, den Kopf schräg geneigt, als sei sie in Gedanken.
    »Und was glauben Sie, warum ich dieses Motiv gewählt habe?«
    Er zögerte, abgelenkt von ihrem Gesicht so dicht vor seinem und doch entschlossen, sich nicht ablenken zu lassen.
    »Die Eiche ist ein sehr gutes Motiv. Und im Park natürlich weit verbreitet.« Ihre Brauen zuckten ungeduldig. Er verstummte.
    Sie tat einen kleinen Satz, weg von ihm, weg von dem Bild, hinter die Zeichnung.
    »Es ist freundlich von Ihnen, dass Sie sich zu meiner Arbeit äußern«, sagte sie, »aber wenn das Bild Ihre Aufmerksamkeit nicht auf seinen Gegenstand lenkt, ist es nicht gelungen.«
    Wieder betrachtete er die Zeichnung, dann zuckten seine Augen zu der Frau dahinter.
    »Nun gut. Sie haben Eichenblätter und Eicheln gezeichnet. Blätter und Eicheln sind braun, doch nur deshalb, weil sie vom vergangenen Jahr stammen. Vielleicht verwundert es, um diese Jahreszeit einen noch intakten Zweig mit Eicheln und auch Blättern zu sehen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, man findet auf dem Boden noch viel vom letzten Jahr.«
    »Nun, dann... Jedes Blatt zeigt die üblichen Einbuchtungen, und jedes...« Er brach ab. »Ich verstehe«, fuhr er fort. »Sie sind zu Recht ungeduldig mit mir. Die Eicheln haben keine Stiele, sie sitzen unmittelbar am Zweig. Und die Blätter haben lange Stiele. Es handelt sich um eine Eiche mit ungestielten Früchten, keine Stieleiche. Sie haben das im Park gefunden, sagen Sie? Ich kenne solche Eichen in Wales, aber ich wusste nicht, dass es sie auch hier gibt.«
    Sie nickte, und ihre Augen strahlten. »Interessant, nicht wahr? Das Original liegt dort drüben am Fenster, falls Sie meiner Beobachtungsgabe nicht trauen. Sehen Sie selbst.«
    Das Gespräch wandte sich anderen einheimischen Bäumen zu, und Banks erzählte von den Spielarten bekannter Dinge, denen er auf seinen Reisen begegnet war. Als er schon vergessen hatte, in welcher Stimmung er sich bei seiner Ankunft befunden hatte, rief sie es ihm wieder in Erinnerung. Sie diskutierten gerade eine Buchenblätterstudie, die sie angefertigt hatte, als sie plötzlich sagte: »Sie dürfen mich nicht für undankbar halten.«
    Ihre Direktheit brachte ihn einen Moment lang aus der Fassung, und er wusste nicht, wie er reagieren sollte.
    »Ich meine all das hier.« Sie machte eine weit ausholende Bewegung, als wollte sie den Raum, das Haus und die ganze Umgebung umfassen. »Ich danke Ihnen jeden Tag dafür. Und noch öfter. Mir ist auch bewusst, dass Sie mich kaum kennen. Ihnen muss das, was Sie für mich getan haben, als ein beliebiger Akt der Freundlichkeit erscheinen.«
    Er war so ehrlich, mit dem Kopf zu nicken.
    »So erkläre ich es mir selbst«, erwiderte er. »Ich nenne es einen großzügigen Impuls, eine Wiedergutmachung für die Fehler Revesbys. Und ich halte mich für einen warmherzigen Menschen.« Er schwieg einen Moment. »Doch wenn wir zusammen sind, merke ich, dass es etwas anderes ist. Ich wollte Ihr Gönner sein, als ich heute hierher kam, das ist mir bewusst. Aber kaum sah ich Sie, wusste ich wieder, weshalb das nicht möglich ist. Sie haben mir nie Gelegenheit dazu gegeben.«
    Sie lächelte ein wenig traurig.
    »Dieses Haus. Meine Stellung hier. Der Inbegriff der Ehrbarkeit. Ich kümmere mich um eine gebrechliche alte Frau. Ich gehe in geziemender Begleitung an der frischen Luft spazieren. Ich zeichne ein wenig. Ich kleide mich ordentlich. Fremde könnten mich für eine Heilige halten. Aber wir wissen beide, dass dem nicht so ist. Über eines haben wir nie gesprochen …« Sie sah zur Seite, wusste nicht, wie sie fortfahren sollte. »Darüber, dass die Empfängerin Ihrer Wohltaten nicht mehr das ist, was man eine Jungfer nennt.«
    Plötzlich schwand seine Freude. »Bitte«, sagte er und erhob sich abrupt. »Es besteht keine Notwendigkeit, darüber zu sprechen. Es schmerzt mich, daran zu denken.«
    Sie entfernte sich ein wenig weiter von ihm.
    »Dennoch«, sagte sie leise, »kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es

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