Die Pforte
alle anderen. «Hier ist Karen, Karen Lowe. Ich bin mir sicher, dass ich gar nicht hier oben sein sollte, gerade war ich noch in meinem Zimmer –»
«Das ist jetzt unwichtig», fiel Paige ihr ins Wort. «Was ist das für ein Objekt, das sich gerade nähert?»
«Nichts. Der Radar zeigt nichts an. Sieht aus, als wären die Geschützkameras nach oben gerichtet, aber ich habe keine Ahnung, warum, auf ihnen ist nichts zu sehen –»
Im Hintergrund waren andere Stimmen zu vernehmen, und dann sagte Karen: «Okay, ja. Jetzt sehe ich sie. Was ist das genau?»
Travis bekam mit, wie Paige sich zu einem Wecker hinabbeugte, um die Leuchtanzeige zu lesen. Sie zuckte ein wenig zusammen und flüsterte: «Drei Tage …»
«Ich zähle da oben mindestens zehn von denen», sagte Karen zu jemandem in ihrer Nähe.
«Karen, beschreiben Sie mir, was Sie sehen», sagte Paige.
«Wir wissen es nicht. Fluggeräte sind es nicht. Die Wärmekameras registrieren Körpertemperatur bei ihnen. Es könnten Fallschirmspringer sein, aber … handelt es sich um Feinde, oder –»
«Abschießen, alle», sagte Paige, die ihre Verwirrung offenbar vorübergehend überwunden hatte. «Besetzen Sie alle Geschütze und fangen Sie an zu feuern, sofort. Und jemand soll den Schalter drücken, mit dem alle Sicherheitszugänge verriegelt werden. Verriegeln und verrammelnSie alles und zertrümmern Sie dann die Bedienungspulte.»
Ihr energischer Tonfall sorgte dafür, dass die Leute am anderen Ende der Leitung, trotz der allgemeinen Konfusion, ihren Anweisungen umgehend Folge leisteten. Travis hörte, wie Alarmsirenen losheulten, und dann führte offenbar jemand ihren Befehl aus und zertrümmerte irgendwelche Geräte. Durch den Lautsprecher war zu hören, wie die Gehäuse von Rechnern zerbarsten, wie empfindliches technisches Innenleben mit irgendeinem stumpfen, schweren Gegenstand zerschmettert wurde. Einem Stuhl möglicherweise.
«Feuern Sie schon?», fragte Paige.
«Wir zielen gerade», sagte Karen. «Bereit in fünf, vier, drei –»
Da spürte Travis, wie unvermittelt ein Ruckeln durch den Fußboden ging, und dann wurde das Gebäude vom tiefen Dröhnen einer Explosion erschüttert, irgendwo hoch über ihnen.
36
Aus dem Lautsprecher drang nur noch ein Rauschen. Paige starrte das Telefon kurz an, bückte sich dann nach einer Jeans, die auf dem Boden lag, und warf sie Travis zu. Als er die Hose fing, war sie bereits dabei, ihre eigene Kleidung aufzulesen.
«Sie scheinen mehr zu wissen als ich», sagte er. «Ge dankenübertragung ?»
«Ich kann vieles erraten», sagte sie. «Mit Lücken.»
«Da sind Sie weiter als ich.» Er war inzwischen in die Jeans gestiegen und zog sie hoch.
Paige knöpfte eilig ihre Hose zu, zog sich dann ihr T-Shirt über und schnappte sich wieder das Gewehr.
«Sagen Ihnen die Begriffe Tangent oder Portal irgendetwas?», fragte sie.
«Nein.»
«Dann müsste ich sehr weit ausholen, um Ihnen das alles zu erklären –» Das Summen einer automatischen Waffe drang aus einem Lüftungsschlitz ganz in der Nähe. «Und so viel Zeit haben wir nicht.»
Sie zog die Schublade an ihrem Nachttisch auf und nahm eine Pistole vom Kaliber .45 heraus, zusammen mit zwei Reservemagazinen.
«Können Sie mit Schusswaffen umgehen?»
Er nickte. Sie kam einen Schritt auf ihn zu und blieb dann stehen, um ihn ein letztes Mal zu mustern. Durch die Lüftung war das Geräusch weiterer Schüsse zu hören, dann auch eine kleinere Explosion. Sie kam zu ihm herüber und händigte ihm die Pistole samt Munition aus. Dann drehte sie sich um, schnappte sich den Rucksack, hängte ihn sich über die Schulter und eilte auch schon zur Tür.
Er folgte ihr und stellte nun endlich die Frage, die er schon längst hätte stellen sollen. «Wie zum Teufel bin ich hierhergekommen?»
Paige vergewisserte sich kurz, dass die Luft in dem Flur vor ihrem Schlafzimmer rein war. «Das würde ich auch nur zu gerne wissen», sagte sie und trat dann aus dem Zimmer.
Mit erhobenem Gewehr bewegte sich Paige aufs Wohnzimmer zu, bereit, alles zu töten, was ihr in die Quere kam. Ihr war nicht unbedingt wohl dabei, dem Unbekannten ihren Rücken zuzukehren – nicht mal nach seinem Namen hatte sie ihn gefragt, fiel ihr auf –, aber dieses Risiko musste sie in Anbetracht der Lage wohl eingehen. Wer immer er auch sein mochte, gerade noch waren sie beide nackt gewesen, was darauf hinzudeuten schien, dass sie ihm vertraute.
Auch im Wohnzimmer war die Luft rein.
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