Die Pforte
er sie beide schallend auslachen.
Dann zerbirst klirrend das Fenster, und die Fensterläden krachen auseinander, als ein Projektil ins Zimmer abgefeuert wird, das von der Kommode abprallt. Orangeweißes Pfeffergas kommt in dichten Schwaden herausgezischt, und Mr. und Mrs. Chase brechen in panisches Geschrei aus, weil sie wissen, was jetzt bevorsteht.
«Wir sind dein eigen Fleisch und Blut, verdammt nochmal!», brüllt Mr. Chase.
«Ganz wie das Kind, das sie unter dem Herzen trug», sagt Travis.
Er sieht, wie sie beide auf diese Mitteilung reagieren, und beschließt, sie mit diesem allerletzten Gedanken ins Jenseits zu befördern. Er hebt die .44er –
– und spürt plötzlich ein Zaudern, wo eben noch kalte Entschlossenheit war.
Ein weiterer Augenblick verstreicht. Die Gasschwaden dringen immer näher, Travis spürt bereits ein Brennen in den Augen. Beim nächsten Atemzug wird er das Gas einatmen, und dann wird seine Welt nur noch aus Schmerz bestehen. In einem Zimmer ganz in der Nähe wird ein Fenster eingeschlagen, und Männer klettern polternd hindurch. Wenn er das jetzt nicht durchzieht – jetzt auf der Stelle –, bekommt er nie wieder eine Chance dazu.
Er denkt angestrengt an Emily. Stellt sich vor, Emily, die ein Anrecht darauf hat, dass ihr entsetzlicher Tod
gerächt wird, würde hier vor ihm stehen. Und bei dieser Vorstellung geht ihm plötzlich ein Licht auf: Jetzt begreift er, warum er noch nicht abgedrückt hat. Nicht aus Mitleid. Sondern ihretwegen. Wegen der Vorstellung, wie sie reagieren würde, wenn sie ihn jetzt hier sehen könnte. Travis glaubt nicht an ein Leben nach dem Tod. Emily ist fort, für immer fort, aber trotzdem weiß er, wie sie sein Tun beurteilen würde. Sie würde sich für ihn in Grund und Boden schämen.
Er merkt, wie ihm die Waffe aus der Hand gleitet, noch ehe der Einsatzleiter in der Tür auftaucht und ihm zubrüllt, sie fallen zu lassen. Gleich darauf liegt Travis am Boden, mitten im Gas, und vermag nicht länger die Luft anzuhalten.
27
«Das darf doch nicht wahr sein», sagte Paige.
Durch den Nebel drang bereits vielstimmiges Geschrei zu ihnen hoch, aus einer weiter entfernten Straße, durch die ein größerer Mob herangestürmt kam. In der Theaterstraße befanden sich neben der Nummer sieben hauptsächlich Büro- und Geschäftsgebäude, die um diese Uhrzeit leer standen, die Menschenmenge flutete also aus der umliegenden Gegend heran. Die huschenden Taschenlampen unten in den Straßen kamen mit jedem Augenblick näher. Travis rief sich die Testpersonen in dem Video vor Augen, die in rasender Wut auf den Mann in dem Käfig losgegangen waren. Hier aber war die Situation um ein Vielfaches potenziert: Das Haus an der Theaterstraße siebenwar jetzt der Käfig, und alle, die sich darin aufhielten, bildeten die Zielscheibe für die Aggressionen, die von dem Ares ausgelöst wurden. Von seiner Wirkung war vermutlich das gesamte Stadtgebiet von Zürich betroffen.
Die Vorhut der Menge befand sich vielleicht noch fünfzig Sekunden entfernt, stürmte zwischen Gebäuden weiter westlich und über die beiden nächstgelegenen Flussbrücken im Süden unaufhaltsam heran.
Paiges Handy klingelte. Sie meldete sich. Es war jemand an Bord der über der Stadt kreisenden AWAC S-Maschine , der, wie Travis über den Hörer gerade noch mitbekam, eine Meldung über merkwürdige Vorgänge unten in der Stadt durchgab, die gerade visuell geortet wurden.
«Ist uns schon aufgefallen», antwortete Paige.
Über Ohrknopf hörte Travis, wie die Scharfschützen und Spähposten nacheinander Meldung machten, während sie wieder ihre Posten an den Fenstern bezogen.
Die Gewissheit, was nun gleich bevorstand, senkte sich auf Travis herab wie ein giftiger Nebel. Paige erging es offenbar nicht anders, während sie beobachtete, wie sich die Taschenlampen dem Gebäude immer mehr näherten. Die ersten waren bereits über die Brücken gekommen.
Die letzten Scharfschützen machten Meldung. Nun waren alle Posten wieder besetzt. Travis malte sich aus, wie sie mit ihren Gewehren lautlos dem Vordringen der Menge folgten, während sie auf den Feuerbefehl warteten.
«Wir sollten sie einfach hereinlassen», sagte Travis.
«Dann bringen sie uns alle um», sagte Paige.
«Ja.»
Er war selbst verblüfft über seinen gelassenen Tonfall.Darüber, wie wenig Angst er tatsächlich empfand. Vielleicht gerade, weil ihre Lage so aussichtslos war. Daher konnte er einen rein logischen Standpunkt einnehmen.
«Es ist
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