Die Pforten der Ewigkeit
zerstörten roten Sonne. »Der andere Mann ist tot«, sagte er schließlich. »Der sich schon im Kellerverlies befand.«
»Wie?«, fragte Rudolf.
»Er hat sich erhängt. Ihr habt ihm seinen Gürtel gelassen.«
»Eine Nachlässigkeit der Wachen«, sagte Rudolf. »Was habt Ihr mit dem Leichnam gemacht?«
»Hängen gelassen.«
Rudolf nickte. »Ich möchte, dass Ihr Nachricht zur Burg Lintpurc schickt. Guilhelm de Solers Frau und Kinder sind dort meine Gäste. Ich möchte, dass Ihr Euch persönlich um sie kümmert und sie zu einem Platz bringt, an dem sie … ihren Frieden finden.«
»Ich bin erstaunt, dass Ihr dies nicht schon früher angeordnet habt.«
Rudolf zuckte mit den Schultern. Gabriel spazierte langsam an den aufgehängten Bannern vorbei. »Castelbisbal, Montésquiou, Rabastencs, Hunaud de Lanta, de LaMothe … ich kenne einige von den Namen, die dort hängen. Und Gott in seinem Zorn schlug sie bis ins siebte Glied. Habt Ihr diese Ketzerfamilien wirklich alle ausgelöscht?«
»Ich habe mir Mühe gegeben«, sagte Rudolf rau.
»Das hier ist kein Wappen aus dem Langue d’Oc.«
»Nein.«
»Der Waffenrock des Erhängten, der jetzt Guilhem de Soler Gesellschaft im Verlies leistet, trägt dieselben Farben.«
»Staleberc«, sagte Rudolf.
»Die ganze Familie?«
»Einer ist mir entwischt«, knurrte Rudolf widerwillig. »Was soll die Fragerei?«
»Rogers de Bezers hatte in Terra Sancta, kurz bevor er zeitweiliger Gefangener von Guilhelm de Soler wurde, Kontakt zu einem jungen deutschen Ritter, der dieselben Farben trug …«
»›Ins Heilige Land!‹«, stieß Rudolf verblüfft hervor. »Ich dachte, das Miststück hätte mich angelogen!« Erregt packte er den Pfarrer am Arm. »Was ist mit dem Mann geschehen!?«
»Er hat einen Fehler gemacht und wurde getötet. Er starb in Rogers de Bezers Armen.«
»Zum Henker! Glaubt Ihr, er hat noch …«
»Was?«
»… mit ihm gesprochen?«, fuhr Rudolf zögernd fort. Er musterte den Pfarrer, doch dessen Miene verriet nichts. Wie viel Argwohn gegenüber seinen Knechten konnte er sich leisten? Oder sollte die Frage besser lauten: Wie viel Vertrauen konnte er, Rudolf von Habisburch, sich leisten?
»Ich nehme es an. Er brauchte eine Weile zum Sterben.«
Rudolf versuchte, seine Aufregung unter Kontrolle zu bekommen. Schließlich stapfte er zu einem der Lichtschächte. Er spürte, wie sich Pfarrer Gabriel zu ihm gesellte. Eine Weile starrte er hinaus, schwer atmend und die Gedanken in seinem Kopf sich überschlagend. Schließlich wandte er sich zu Gabriel um. »Wisst Ihr, wer sich in meiner Residenz hier in Brugg befindet?«
Pfarrer Gabriel wäre nicht der Mann gewesen, der er war, wenn er es nicht gewusst hätte. »Seine Majestät der Herzog von Schwaben, König von Sizilien, Jerusalem und Deutschland und designierter Herr des Heiligen Römischen Reichs, Konrad von Hohenstaufen.«
»Ihr haltet Federicos Sohn für den rechtmäßigen König, Herr Gabriel? Warum nicht Wilhelm von Holland?«
»Weil es Wilhelm von Holland wäre, den Ihr in Eurer Residenz bewirten würdet, wenn er es wäre.«
»Konrad will, dass ich mit ihm nach Sizilien gehe. Er zieht alle seine Verbündeten in Welschenbern zusammen und möchte noch im Dezember von dort aufbrechen, entweder um auf dem Landweg einen Hafen in Istrien zu erreichen oder noch in Lignan ein Schiff Richtung Süden zu besteigen. Er bittet mich, ihn mit Rittern, Pferden, Ausrüstung und Soldaten zu unterstützen.«
»Möchtet Ihr gehen?«
»Nein.«
Gabriel grinste breit. Rudolf wandte sich ab und sah wieder zum Fenster hinaus.
» Werdet Ihr mit ihm gehen?«
»Ja«, sagte Rudolf. »Ich kann es mir derzeit nicht leisten, mich zwischen alle Stühle zu setzen. Außerdem ist das die beste Möglichkeit, ihn kennenzulernen.« Ihn und seine Schwächen , dachte er im Stillen. Bis jetzt hatte der junge König keine nennenswerten Fehler begangen. Aber anders als sein Vater, der bis kurz vor seinem Tod ein Adonis gewesen war, war Konrad von Hohenstaufen nur ein rundlicher Junge mit struppig-krausem Haar, feisten Bäckchen und einem Doppelkinn. Wer es geschafft hatte, trotz der Erbanlagen der Hohenstaufer so auszusehen, musste eine Schwäche haben.
»Was kann ich für Euch tun, Erlaucht?«
»Hertwig von Staleberc war im Besitz eines Geheimnisses, das mir sehr viel wert ist. Womöglich hat er es an Rogers de Bezers weitergegeben.«
»Dann ist die Jagd noch nicht vorbei«, erwiderte Gabriel.
Rudolf schüttelte langsam den Kopf.
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