Die Pforten der Ewigkeit
Äbtissin ein, und anders als den gewöhnlichen Schwestern war der Äbtissin keine so strenge Klausur auferlegt – sie durfte sich in der Welt bewegen und die nötigen Gespräche führen, auch mit Laien und sogar mit Männern. Doch niemand hatte Elsbeth offiziell auch nur dazu ernannt, geschweige denn ihr die Weihen zur Äbtissin gegeben. Dazu wäre die Entscheidung von Bischof Heinrich nötig gewesen, und es stand außer Frage, dass es besser war, den Bischof nicht noch zusätzlich mit der Nase darauf zu stoßen, was Elsbeth trieb. Und nicht nur sie, auch die anderen Schwestern waren weit weniger von der Welt abgeschirmt, als die Regeln vorsahen. Sie blieben in einer Gruppe zusammen, wenn sie draußen waren, sie sprachen nur das Nötigste und sie konzentrierten sich auf ihre Arbeiten, aber gemessen an den Vorschriften war ihrer aller Verhalten skandalös. Elsbeth versuchte sich damit zu trösten, dass all das nötig war, um etwas Größeres entstehen zu lassen, das Gott im Himmel und dem Orden von Cîteaux auf Erden Ehre machte und den Heimatlosen ein Heim bieten würde (vor allem Hedwig!); aber dies war im Grunde genommen nur die Philosophie, dass der Zweck die Mittel heiligte, und daran war schon die Glaubwürdigkeit der anderen Orden zerbrochen. Sie seufzte im Stillen. Die Schuld traf sie und nur sie allein.
»Ich habe einmal versucht zusammenzurechnen, welche Ausgaben zu erwarten sind«, sagte Wilbrand. Er konsultierte ein Wachstäfelchen. »Wir brauchen Steine, Kalk, den Lohn für Zimmerleute und die Hilfsarbeiter fürs Herrichten der Rohdauben, dann sind da die Schmiedearbeiten zu berücksichtigen für die Metallbeschläge, die Miete für den Steinbruch und der Lohn für die Steinbrecher, die Steinmetze, die Marmorschleifer, die Maurer, die Hobler, die Dachdecker, die …«
»Marmorschleifer?«, unterbrach Elsbeth. »Steinmetze? Für die Holzbauten!?«
»Ich habe natürlich schon weitergedacht«, erklärte Wilbrand würdevoll. »Die Holzbauten stehen bis zum ersten Schnee. Im Frühling wollen wir ernsthaft mit dem Bau beginnen, oder nicht?«
»Ja«, brummte Elsbeth, die gehofft hatte, sich zunächst nur mit der übersichtlichen Errichtung der hölzernen Kirche und der Klausur befassen zu müssen und die Gedanken daran, wie es weitergehen sollte, bis zu dem Zeitpunkt aufschieben zu können, an dem es nicht mehr anders ging, als darüber nachzudenken. Ein Blick in Wilbrands Gesicht belehrte sie, dass dieser Zeitpunkt bereits gekommen war. Er zeigte ihr aber auch, dass der Baumeister bereits auf ein, zwei Probleme gestoßen war. »Erzähl es mir«, seufzte sie.
»Das Holz ist nicht das Problem – wir können die Holzbauten, die wir in den nächsten Wochen errichten, Zug um Zug wieder abreißen und das Material erneut verwenden. Außerdem haben wir die Erlaubnis, alle Bäume zu fällen und zu behalten, wenn wir damit die bestehenden Felder rund um die Stadt vergrößern. Wir roden den Bauern damit zwar gratis ihre Äcker, aber dafür erhalten wir das Holz. Habe ich Euch schon gesagt, dass ich es bewundere, wie Ihr den Notar auf unsere Seite gebracht habt? Er ist ein kluger Mann, und es ist unser Glück, dass der Stadtrat seine Weisheit erkennt und sich von ihm beraten lässt.«
»Mhm«, machte Elsbeth und nickte. Sie hatte durchaus ihre eigenen Empfindungen, was ihren unverhofften Schutzengel mit den breiten Hüften und dem zurückweichenden Haar anging, und sie waren weitaus weniger ungetrübt als Wilbrands Begeisterung. Warum der Notar Elsbeths Pläne so vorbehaltlos unterstützte, war ihr rätselhaft, und der Einfluss, den er auf die Menschen in Wizinsten besaß, unheimlich. Schon vor Wochen hatte sie sich vorgenommen, mit seiner Gefährtin ins Gespräch zu kommen. Ihr Name war Constantia, und soweit Elsbeth es mitbekommen hatte, war sie eine junge Witwe und wurde von den Wizinstenern nur deshalb nicht wegen unmoralischen Benehmens aus der Stadt gejagt, weil es eben der Notar war, mit dem ihre Unmoral sie verband. Elsbeth war weniger streng eingestellt, wenn es um solche Themen ging; sie dachte an Colnaburg und daran, dass Jesus Christus gesagt hatte, nur wer ohne Schuld sei, der solle den ersten Stein werfen. Elsbeth hatte das Gefühl, dass Constantia eine Freundin sein konnte, und sie bedauerte sie im Stillen, wenn sie sie mit ihrer königlichen Haltung neben ihrem Liebhaber stehen sah, die Miene abweisend und in den Augen ein nur schlecht verstecktes Flehen nach Liebe. Warum sie sich zu ihr
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