Die Pforten der Ewigkeit
kleine Mann.
»Richtig. Er hat nicht mal eine spöttische Bemerkung darüber gemacht, dass das letzte Geheimnis des größten Kaisers des Heiligen Römischen Reichs in einem Steinhaufen hier im Arsch der Welt verloren gegangen sein soll und dass es erstaunlich sei, wie der Ruhm der Welt vergeht. Früher hatte er ständig solche Gleichnisse auf den Lippen.«
»Soll ich das aufschreiben, Herr?«, fragte der kleine Mann.
Gabriel schüttelte den Kopf. »Mach zwei Abschriften auf gutem Pergament, eine für dich, eine für mich. Und solltest du wie besprochen hören, dass mir etwas zugestoßen ist, sendest du deine Kopie an Graf Rudolf von Habisburch. Stell sicher, dass genau nachvollziehbar ist, wo Meffridus lebt.«
Im Wald war es stockfinster, doch Meffridus orientierte sich am Licht der Laternen, die man schwach erkennen konnte, sobald man ein Dutzend Schritte weit zwischen die Bäume vorgedrungen war. Die Laternen beleuchteten die Gestalten seiner Männer und Hochwürden Fridebrachts. Der Pfarrer saß mit angezogenen Knien auf dem Boden wie eine prüde alte Jungfer.
»Und?«, fragte Meffridus.
»Was immer ich hier hätte begraben sollen, war schon begraben«, sagte der Pfarrer dumpf.
»Habt ihr nachgesehen?«
Einer seiner Männer nickte. Er wies auf eine Stelle, wo der Waldboden aussah, als habe man ihn frisch aufgegraben und dann wieder zugeschüttet, und danach mit dem Kinn auf einen Fetzen Stoff, der von Fäulnis durchsetzt war. Schwarz und Gold ließen sich erkennen. Meffridus nickte. »Wie viele?«
»Vier«, sagte der Mann, der Meffridus den Tuchfetzen gezeigt hatte. »’n Kerl und drei Weiber.«
»Passt zusammen«, murmelte Meffridus. »Bis auf die Tatsache, dass sie schon begraben waren.« Er sah sich um, als argwöhne er, die unbekannten Totengräber versteckten sich in der Nähe. »Wie es aussieht, war unser Freund bereits hier. Und Gabriels Beschreibung stimmt nicht, sonst hätte ich von seinem Hiersein gehört. Hm.«
»Ich versteh nich’ …?«, fragte einer von Meffridus’ Männern.
»Halt die Klappe, Idiot«, sagte Meffridus.
»’woll, Meffridus. Alles klar, Meffridus.«
»Ich verstehe nicht, warum du mich hierher mitgeschleppt hast, mein Sohn«, stöhnte der Pfarrer.
Meffridus sah nachdenklich auf den alten Geistlichen hinab. »Weil ich verhindern will, dass Lubert Gramlip sich jemals Gedanken darüber macht, ob der Schmuck, den seine Mutter ihm vermachen wollte, tatsächlich schon seit Ewigkeiten verschwunden war und nicht erst nach ihrer Letzten Ölung aus der Schatulle unter ihrem Bett gestohlen wurde.«
Pfarrer Fridebracht ächzte und stützte den Kopf in die Hände.
»Und weil ich wollte, dass die armen Teufel, die hier begraben werden sollten, mit einem priesterlichen Segen unter die Erde fahren.« Meffridus grinste.
Pfarrer Fridebracht schaute kurz zu Meffridus auf, wandte den Blick schnell wieder ab und gab ein schwaches »Ha!« von sich.
»Und weil«, fuhr Meffridus fort, und im Schein der Laterne verzerrte sein Lächeln sein Gesicht zur Fratze eines Dämons, »ich sicherstellen möchte, dass irgendjemand, dem man eher glaubt als ein paar hirnlosen Totschlägern«, er nickte zu seinen Männern, die mit einem verlegenen Grinsen antworteten, »im Zweifelsfall die Geschichte erzählen kann, dass ein ehemaliger Zisterzienser namens Bruder Gabriel und der Graf von Habisburch gemeinsame Sache gemacht haben, um die Morde an der Gräfin von Staleberc und ihren Töchtern zu vertuschen. Ihr könnt doch schreiben, Hochwürden Fridebracht?«
16.
WIZINSTEN
»Ich bin hier, Schwester Elsbeth«, sagte Rogers’ Stimme aus der Dunkelheit.
Elsbeth tastete sich um die Überreste des Galgens herum bis zu Godefroys römischem Kran. Rogers’ Stimme war von dort gekommen, aber die zusammengesackte Konstruktion war nur als dunkles Gebilde zu sehen, und alles, was sich in ihrem Schatten befand, unsichtbar.
»Woher hast du gewusst, dass ich es bin?«, fragte sie. Sie hörte, wie zittrig ihre Stimme klang. Es kam nur zum Teil davon, dass sie den Galgenberg in der größten Hast erklommen hatte, kaum dass das Abendgebet vorbei gewesen war und sie sich unauffällig aus dem Klosterbau hatte entfernen können.
»Woher hast du gewusst, wo du mich suchen musst?«, fragte er zurück.
Sie stolperte weiter durch die Finsternis. Der Himmel war mit einer löchrigen Wolkendecke überzogen, die langsam weiterwanderte und immer wieder neue Sterne freigab. Der Wald um sie herum zeigte nichts als
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