Die Pforten der Ewigkeit
auf Elsbeth und ihre Begleiterinnen. Sie blinzelte fassungslos in das Gleißen, das sie umgab und das die hellgrauen Kutten schimmern ließ wie frischpolierte Panzerhemden.
Hedwig ging auf sie zu, umfasste ihre Schultern und küsste sie links und rechts auf die Wange. Ein Blick in die Augen der jungen Schwester zeigte, dass sie nicht in einer ihrer Visionen verloren war, sondern im Rahmen ihres nie ganz im Jetzt verankerten Bewusstseins plante, was sie tat. Hedwig wandte sich um und deutete zum Altar. Die Blicke der Kongregation folgten ihr, auch die Elsbeths. Allen, die in den Lichtkeil gestarrt hatten, in dem die Zisterzienserinnen standen, musste der kleine Altarraum nun wie eine dunkle Höhle vorkommen und die Gestalten der Mönche darin wie Schattenwesen. Vor Elsbeths Augen tanzte in Fehlfarben der Umriss Hedwigs, wie sie mit ausgebreiteten Armen vor ihr gestanden hatte. Es sah aus, als stünde ein Engel zwischen den grauen Mönchen.
»Dort«, sagte Hedwig, »ist die Finsternis.«
Der Anführer der Zisterzienser sprang auf. »Welch eine Blasphemie!«, rief er. Er hielt die Urkunde erneut in die Höhe. Eines der Siegel fiel ab, prallte auf den Boden, hüpfte davon und begann dann auf seiner Kante durch das Kirchenschiff zu rollen. Alle Augen folgten ihm auf seiner Reise. Es rollte, als täte es das mit Absicht. Der Unterkiefer des Zisterziensers klappte herunter. Das Siegel rollte mit letzter Kraft zum Kirchenportal und fiel vor einem Stiefelpaar auf die Seite. Der Besitzer der Stiefel bückte sich, hob das Siegel auf und zerbrach es. Man konnte sehen, dass es aus billigem braunem Wachs bestand, über das jemand rote Farbe gepinselt hatte.
»Das ist eine Fälschung, beim heiligen Johannes!«, sagte Godefroy in die Stille, und nur wer ihn kannte, konnte das Vergnügen aus seiner demonstrativ empörten Stimme heraushören.
Der Mönch setzte zu einer Erwiderung an und verstummte, als er erkannte, dass er es mit einem vermeintlichen Johanniter zu tun hatte. Man konnte sehen, wie sein Hirn arbeitete. Er schoss einen mörderischen Blick dorthin, wo Constantia stand, einen Blick, den Elsbeth sich nicht erklären konnte. Hedwig kniete sich zwischen Reinhild und Adelheid und lächelte ihr freundliches Lächeln. Die Frauen, die sie hergebracht hatten, sanken zwischen den Angehörigen des Stadtrats auf die Knie. Elsbeth ertappte sich dabei, wie sie den Atem anhielt. Nun hatte sie wirklich das Gefühl, in Ohnmacht zu fallen. Konnte es tatsächlich sein, dass sie ein zweites Mal über die Zisterzienser triumphieren würde?
»Wir werden die Angelegenheit den Bischöfen von Virteburh und Papinberc vorlegen«, sagte der Mönch schließlich würdevoll. »Und dem Burggrafen von Nuorenberc. Selbstverständlich ist die Urkunde keine Fälschung, und wir fürchten keine offizielle Untersuchung.«
Die Blicke der Anwesenden, die von Godefroy zum Anführer der Zisterzienser gewechselt waren, schwenkten zu Elsbeth. Es war, als beobachteten sie ein Turnier.
Natürlich , dachte Elsbeth bitter. Und bis zu einem offiziellen Spruch ruhen die Arbeiten, und ihr habt Zeit, im Hintergrund eure Intrigen zu spinnen.
Sie holte Atem, um etwas zu sagen, irgendetwas, obwohl sie keine Ahnung hatte, was. Sie wusste nur, wenn sie schwieg, würden es die Menschen in der Kirche als Eingeständnis ihrer Niederlage ansehen.
Doch dann kam ihr Wilbrand zuvor. Der Baumeister räusperte sich. »Das wird nicht nötig sein«, sagte er laut. »Selbstverständlich erkennen wir die Gültigkeit der Urkunde an. Der Steinbruch ist Euer.«
19.
WELSCHENBERN
Rudolf von Habisburch starrte auf den Steinbruch und bemühte sich, seine brodelnde Wut zu bezähmen. Der Steinbruch war das, was vom Außenring der großen Arena in Welschenbern übrig geblieben war, nachdem ein Erdbeben vor weit über hundert Jahren ihn hatte zusammenstürzen lassen. Aus der Ruine erhob sich der Kern der gewaltigen Anlage weniger trotzig als vielmehr resigniert. Es sprach für die Qualität römischer Baukunst, dass nach hundert Jahren fleißiger Entnahme für benachbarte Baustellen immer noch genügend Steine übrig waren, um dem Trümmerberg riesige Ausmaße zu geben.
Doch war es nicht der Überrest der Arena oder die schnöde Verwendung römischer Architrave als Stützsteine für Kellergewölbe, der Rudolfs Zorn galt. Es war König Konrad. Der Hass, den der Graf von Habisburch für den Vater empfunden hatte, hatte sich auf den Sohn übertragen, kaum dass er vor diesem gekniet
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