Die Pforten der Ewigkeit
Der Mönch war Prior in Asti und von Papst Innozenz zum Großinquisitor in Norditalien ernannt worden. Er stammte selbst aus Welschenbern und war als leidenschaftlicher Redner bekannt, der die Ketzerei der Albigenser ebenso geißelte wie die Korruption mancher Kreise der katholischen Kirche. Rudolf mutmaßte, dass ihn nur der Umstand, zu den beliebtesten Klerikern zwischen Milan und Welschenbern zu gehören, vor Repressalien der Bischöfe und Kardinäle beschützte. Er war zudem ein Paradebeispiel dafür, wie die katholische Lehre über diejenige der Ketzer siegte – Frater Pietros Eltern waren Albigenser gewesen, aber er hatte sich selbst zum katholischen Glauben bekehrt. Der Mann war nicht nach Rudolfs Geschmack: Er predigte Vergebung und Rückholung der Abtrünnigen in den Schoß der Kirche anstatt deren Ausrottung. Frater Pietro hatte schon bei allen Verbündeten Konrads um Unterstützung nachgesucht, damit der König ihn wenigstens empfing und seine Ernennungsurkunde zum Großinquisitor in Empfang nahm. Rudolf hatte ihm bisher immer ausweichen können. Er drehte sich um und tat so, als habe er ihn nicht gesehen und es jetzt plötzlich eilig, zu einer anderen Verabredung zu gelangen. Zu seiner Erleichterung rannte der Dominikanerpater nach ein paar Schritten in eine Gruppe von Leuten hinein, die ihn kannten und in ein Gespräch verwickelten. Rudolf stapfte davon.
Eine Hure wich ihm in weitem Bogen aus, statt sich ihm wie einem anderen prospektiven Freier in den Weg zu stellen. Ihr Zuhälter, der auffällig unauffällig an einer Hausmauer in der Nähe lehnte, machte ihr heftige Zeichen, doch sie ignorierte sie. Einen Augenblick lang überlegte er, zu ihm zu gehen und ihn zu fragen, was es kosten würde, das Stück so zu verprügeln, dass sie ihn anflehte, ihm den Schweiß aus den Körperfalten lecken zu dürfen, wenn er nur von ihr abließ. Die Vorstellung weckte jedoch keinerlei Erregung in ihm.
Er marschierte aus der Stadt und dachte an die junge Zisterziensernonne in Colnaburg.
20.
WIZINSTEN
Elsbeth folgte dem Zug hinauf zum Steinbruch auf tauben Beinen. Reinhild und Adelheid hatten alle Schwestern aus dem Kloster geholt, und die Nonnen hatten ihre diaconissa in die Mitte genommen. Elsbeth war sich der besorgten Seitenblicke bewusst, die sie ihr zuwarfen, doch sie konnte nicht darauf reagieren. Wilbrand hatte sie verraten! Er hatte beschlossen, dass er seine Pläne eher mit dem Geld der Zisterzienser aus Ebra verwirklichen konnte als mit Elsbeths Träumen. Er hatte sie verkauft.
Wenn Rogers in der Nähe gewesen wäre, wäre sie schluchzend in seinen Armen zusammengebrochen. Aber Rogers hatte sich mit Walter unter die Arbeiter und Bürger gemischt, die die zum See hinaufstrebende Gruppe aus Mönchen, Stadträten, einem hochstapelnden Johanniter, einem verräterischen Baumeister und einem Haufen Zisterziensernonnen ohne Zukunft zu einer Prozession verlängerten. Sie durfte sich nicht nach ihm umdrehen, schon gar nicht, weil sie ahnte, dass sein Anblick ihr die Kraft genommen hätte, Haltung zu bewahren. Weiter vorne schritt der Zisterziensermönch beseelt aus, flankiert von Wilbrand und Godefroy, auf die er abwechselnd einredete. Sie fragte sich, welche Miene Godefroy zog und ob er sich dafür verfluchte, ihr mit der Maskerade zu Hilfe geeilt zu sein. Sie zweifelte keine Sekunde, dass er, Walter und Rogers sich Godefroys Auftreten auf die Schnelle ausgedacht hatten. Eine so heiße Welle aus Liebe für Rogers und Zuneigung für die beiden anderen schoss in ihr empor, dass sie die Tränen mit Gewalt unterdrücken musste. Diese Menschen waren ihr beigestanden: ein abtrünniger Johanniter, ein gleichgültiger Engländer und ein Ketzer! Alle anderen hatten sie verraten oder waren, im Fall ihrer Nonnen, ein verwirrtes, verängstigtes Häuflein, das von ihr Trost erwartete, statt welchen zu geben.
Sie erreichten den See und stellten sich an seinem Ufer auf. Der Zisterzienser stemmte die Hände in die Hüften und musterte den Steinbruch mit der Miene eines Herzogs, der sein neues Lehen in Augenschein nimmt. Sein Gesicht zog sich immer mehr in die Länge.
»Wie soll man denn hier Stein abbauen?«, fragte er laut. »Das fällt ja alles in den See!«
»Ach, das ist nicht so schwer«, sagte Wilbrand.
»Was? Aber …«
»Seht selbst, Bruder!« Wilbrand deutete auf die Stelle, an der die Wunde des Felsrutsches deutlich im Hang zu sehen war. »Wir haben es ja auch geschafft.«
»Das sehe ich«, schnappte
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