Die Pforten der Ewigkeit
Ebraer Steinmetzen in ihren abgesonderten Hütten hatten nachgefragt, ob sie für Meister Wilbrand arbeiten dürften, und hatten ihre Karyatiden und Kinderengel und Reliefs und ihre ausufernd bildhaften Konsolenplastiken aufgegeben zugunsten von Blütengirlanden und Akanthusranken. Eine Weile hatte Constantia in banger Erwartung gelebt, dass auch Rudeger wieder auftauchen würde, doch er war nicht unter den Arbeitsuchenden gewesen. Wie hätte er es auch sein können – sein Geschick war mit Ebra verbunden, und er konnte es sich nicht aussuchen, wo er seine Fronarbeit tun wollte. Es hatte sie erleichtert und gleichzeitig verärgert, dass der Gedanke an ihn immer noch in der Lage war, sie beklommen zu machen. Auch jetzt schaute sie sich nach allen Seiten um. Unter den wenigen Männern, die auf dem Gerüst herumkrochen, war Rudeger nicht auszumachen. Sie nahm die kleine Schmucktruhe fester unter den Arm, machte eine Kopfbewegung zu ihrer Magd und wartete, dass diese an die Klosterpforte klopfte.
Die Magd – Constantia war sich so wenig klar wie am Anfang, aus welchem Grund Meffridus sie ihr wirklich geschickt hatte. Gesagt hatte er, er wünsche nicht länger, dass sie ohne Begleitung in den Gassen herumlaufe wie eine Schlampe; dabei übersah er großzügig, dass er sie zu einer gemacht hatte. Aber war das junge Mädchen nicht eher eine Art Aufpasserin, was bedeutete, dass er misstrauisch geworden war seit dem missglückten Überfall auf Rogers? Und hatte er es mit Bedacht ausgewählt, um Constantia zu demütigen und immer daran zu erinnern, dass sie ein gemeinsames Geheimnis besaßen, nämlich das Verschwinden ihres Ehemannes? Die Magd war Ella Kalp, die junge Mutter, die bei Constantias Hochzeitszeremonie mitgewirkt hatte. Constantia konnte sich nicht entscheiden, ob Ella Meffridus’ Aufforderung gefolgt war, weil sie das Geld brauchte, weil er sie genauso in der Hand hatte wie alle anderen oder – was sie an guten Tagen für am wahrscheinlichsten hielt – weil Ellas arglos-naive Fröhlichkeit noch nicht einmal Constantia gegenüber Ressentiments zuließ.
Ella klopfte und wandte ihre Aufmerksamkeit sofort wieder ihrem Töchterchen zu, das sie immer noch bei jeder Gelegenheit mit sich herumtrug und nicht einmal allein ließ, wenn sie am Brunnen Wasser holen ging. »Heute sind wir bei den Mönchen«, gurrte sie. »Und so weit war es zu gehen, mein kleiner Schatz, sooo weit … dudududu …«
Eine Klappe öffnete sich, und ein kleiner Ausschnitt eines abweisenden Gesichts war zu sehen.
»Ich möchte mit dem Bruder sprechen, der die Bauaufsicht hat«, sagte Constantia.
»Das ist der Bruder Sakristan, Hildebrand. Warum sollte er dich empfangen, meine Tochter?«
»Sagt ihm, mein Name ist Constantia Wiltin aus Wizinsten. Und macht ihn auf das hier aufmerksam.« Sie hielt die Schmucktruhe hoch, so dass der Torhüter sie sehen konnte. Sie sah, wie sich die Augen des Mönchs zusammenzogen. Die Truhe war fein gearbeitet und sah wertvoll genug aus, um etwas noch Wertvolleres zu beinhalten. Viele Klosterbauten lebten von den Stiftungen, die reumütige oder gläubige Menschen ihnen gaben. Wie es schien, war der Strom dieser Zuwendungen für Ebra gerade ein wenig ausgetrocknet. Constantia lächelte.
»Ich werde sehen, was sich machen lässt«, sagte der Torhüter und schloss die Klappe. Für seinen gedehnten Tonfall tat er es erstaunlich schnell.
»Ist das dein Kind der Sünde, das deine Magd herumträgt?«, fragte Bruder Hildebrand schneidend. Sein Stil hatte sich nicht verändert seit ihrem letzten Gespräch, und genauso wenig wie damals machte er auch heute kein Hehl daraus, dass er Constantia verabscheute. Seine Blicke wanderten immer wieder zu der kleinen Truhe und verrieten den wahren Grund, warum er sich herabgelassen hatte, mit ihr zu sprechen. Sie standen in einer leeren Kapelle im Seitenschiff des Kirchenbaus, an einer Stelle, an der die wenigen Bauarbeiter gerade nichts zu tun hatten.
»Der Bau in Wizinsten geht viel schneller voran«, sagte Constantia und genoss den Anblick seines sich rötenden Gesichts.
»Gottes Mühlen mahlen langsam«, presste Bruder Hildebrand hervor.
»Eure Mühlen mahlen gar nicht«, stellte Constantia fest.
»Als ob die natürliche Hirnlosigkeit eines Weibs derlei feststellen könnte!«
»Ich kann zumindest feststellen, dass alle Eure Arbeiter an unserer Kirche bauen.«
Unserer? , dachte Constantia überrascht. Habe ich eben unserer gesagt? Sie erkannte, dass sie den
Weitere Kostenlose Bücher