Die Pforten der Ewigkeit
Zisterzienser nicht unterschätzen durfte, denn er bemerkte ihr Stocken sofort und auch seinen Grund und setzte nach: »Man wird nicht dich bitten, dereinst bei der Einsegnung zugegen zu sein.«
Sie starrten sich an.
»Es ist ein großes Entgegenkommen, dass ich dich überhaupt empfange«, sagte Bruder Hildebrand.
»Ihr tut es nur, weil Ihr hofft, dass Ihr das hier empfangen werdet.«
Der Zisterzienser riss seine Blicke von dem Kästchen los. Dann seufzte er. »Na gut«, sagte er. »Was ist da drin? Geld? Schmuck?«
»Besser«, sagte Constantia. »Viel besser.«
Sie sah zu Ella, die draußen vor dem Kirchenportal stand, ihre Tochter auf dem Arm und eines der dicken, rosigen Ärmchen in der Hand. Damit winkte sie nach oben, vermutlich zu einem der vereinzelten Arbeiter auf dem Gerüst, der das Unglück gehabt hatte, einen Blick Ellas zu erwidern. Die Kleine kicherte und quiekte. Ich habe sie noch nicht mal gefragt, wie das Kind heißt , dachte Constantia. Sie konnte nicht anders, als die wedelnde Patschhand der Kleinen anzustarren. Am liebsten hätte sie das Kästchen weggeworfen. Sie ahnte, dass sie auch heute wieder nur mühsam der Versuchung würde standhalten können, sich die Hände zu waschen, bis die Haut roh war. Sie hatte so sehr aufgepasst, und doch hatte sie sie berührt …
»Ebra unterstützt sechs Tochterklöster«, knurrte Hildebrand. »Wir selbst sind wiederum eine Gründung des Klosters Morimond. Aber die Unterstützung von dort ist immer weniger geworden, seit König Louis zum Kreuzzug aufgebrochen ist und viele Adlige aus der Umgebung von Morimond mitgenommen hat, die vorher dem Kloster Schenkungen machten und Stiftungen übereigneten. Und hier ist die Lage seit kurzem ähnlich – der Italienzug von König Konrad beraubt uns der Gelder des fränkischen Adels, weil viele ihn entweder begleiten oder finanzieren.«
Constantia nickte. Ihr war es noch immer ein Rätsel, wie Elsbeth überhaupt mit ihrem Klosterbau hatte beginnen können. Woher war das Geld gekommen? Sie war sich nur über eines sicher: nicht von Meffridus.
»Insofern«, sagte Bruder Hildebrand und streckte die Hände aus, »nehme ich deine Schenkung als Zeichen der Reue dafür an, dass du uns auf Irrwege geführt hast, und als Geste des guten Willens, deinen verderbten Lebenswandel aufzugeben.«
Selbst in der Not war der Zisterzienser noch mit einem Seitenhieb zur Stelle. Constantia zog das Kästchen aus seiner Reichweite … und händigte es ihm dann wortlos aus. Er lächelte verzerrt und öffnete es.
Seine Augen wurden schmal, als er hineinblickte, und auf seinen Wangen bildeten sich zwei hochrote Flecken. Constantia fühlte erneut die Berührung auf der Haut. Sie hätte kalt und glatt sein sollen, aber irgendwie war sie warm gewesen … und nicht glatt, aber auch nicht rau … als wäre immer noch auf geheimnisvolle Weise Leben darin gewesen, und die Berührung wäre kein Zufall gewesen, sondern der Versuch, nach ihr zu greifen …
»Widerlich«, sagte der Mönch. Er klappte den Deckel zu.
»Erkennst du, was das ist?«
»Was soll das, Weib? Ist zur Verdorbenheit nun noch der Wahnsinn gekommen?«
»Es kommt auf den Fundort an«, sagte Constantia.
Er musterte sie lange. Das Schweigen zwischen ihnen war wie das unhörbare Duell zweier Klingen – vor, zurück, vor, zurück, auf der Suche nach einer Blöße. »Wo?«, fragte er zuletzt.
»In einem unterirdischen Gang, der den alten Wachturm in Wizinsten mit dem ehemaligen Benediktinerkloster verbindet. Dem Kloster, in dem in den letzten Monaten Eure Ordensschwestern gelebt haben.«
Bruder Hildebrand dachte lange nach. Es war schön, wenn man die Gedankengänge eines bigotten Menschen so gut kannte, dass man sie steuern konnte, ohne mehr als nur vage Andeutungen zu machen.
»Unmöglich«, sagte er schließlich. »Selbst wenn eine der Schwestern schon schwanger in Wizinsten angekommen wäre und das Kind gleich nach der Ankunft zur Welt gebracht hätte.«
Constantia blickte zu Ella und ihrer Tochter hinaus. Ella hatte aufgehört, mit der kleinen Kinderhand zu winken, und ließ sich stattdessen gutmütig von ihr an den Haaren ziehen, in die Augen stechen und die Nase in die Länge ziehen. Bruder Hildebrand folgte unwillkürlich ihrem Blick.
»Nicht viel Fleisch an der Hand eines Neugeborenen«, sagte sie unbarmherzig. »Das geht schnell.«
Der Zisterzienser erschauerte und starrte sie mit Augen an, in denen das Entsetzen ausnahmsweise die Verachtung überlagerte.
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