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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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auch nicht.«
    »Es ist einfach eine Alternative zum heutigen Baubestand. Was man auch daraus hätte machen können …«
    »Mir ist schon klar, was das Wort Alternative bedeutet. Wo hast du dieses Bild her?«
    »Ich … ich habe es selbst gezeichnet.«
    Elsbeth sah ihm ins Gesicht, dann zurück zu dem atemberaubenden Abbild dessen, was aus dem Dom auch hätte werden können – was ihn verbessert hätte, das fiel selbst einem Laien auf –, und wieder zu ihm. Er war ein unattraktiver Mann mit knochigen, hohlwangigen Zügen, wirrem Haar und schlechter Haut – jemand, der entweder nicht genügend zu essen bekam oder sich nicht die Mühe machte, sich um sich selbst zu kümmern. Er konnte höchstens zwei, drei Jahre älter sein als sie. Aus seinen Augen blickte ein Jüngling, der all seinen Erfahrungen zum Trotz die Hoffnung nicht aufgegeben hatte, dass auf der Welt auch für ihn Platz genug war.
    »Wozu?«, fragte Elsbeth.
    »Wozu was?«
    »Wozu hast du das gezeichnet?«
    Er machte eine unsichere Handbewegung. »Einfach so.«
    »Es ist faszinierend.«
    »Das ist doch nur Architektur!«
    »Und was ist dann das dort?« Elsbeth wies auf die verunglückte Zeichnung des Reiters.
    »Das ist Kunst …«, erwiderte der junge Mann mit einem Anflug von Trotz.
    Ihre Blicke begegneten sich nach kurzer Betrachtung des Kunstwerks.
    »… irgendwann einmal, wenn ich genügend geübt habe«, vollendete der junge Mann lahm.
    »Wie lange übst du denn schon?«, fragte Elsbeth.
    Er ließ den Kopf sinken.
    »Warum hast du dir so etwas Schwieriges wie den Reiter ausgesucht? Selbst wenn du seine Proportionen richtig einfangen könntest, hättest du noch lange nicht sein Abbild geschaffen. Er ist mehr als nur die Form, in der die Steinblöcke zugehauen sind. Um ihn auf das Blatt zu bannen, müsstest du seinen Geist einfangen, nicht seine Umrisse.«
    »Wem sagt Ihr das, Schwester?«, seufzte der junge Mann. »Ich beiße mir seit Jahren an ihm die Zähne aus.« Er ließ das Stück Kohle in seine Hand fallen, als sei er seiner überdrüssig.
    »Warum versuchst du dein Glück nicht an … an einem Apfel?«
    »Weil ich nicht vorhabe, einen Apfel aus einem Steinblock herauszuhauen.«
    »Du bist Steinmetz?«
    »Bildhauer. Ich bevorzuge Bildhauer.«
    »Also – du bist Bildhauer?«
    »Nein.«
    »Aber du möchtest einer sein.«
    Der junge Mann nickte und lief rot an vor Scham. Elsbeth wies auf das Blatt mit der Architekturzeichnung des anderen, besseren Papinbercer Doms.
    »Mit diesem Bild könntest du ein Dutzend Bildhauer beschäftigen, eine neue Kirche zu bauen. Warum willst du der Ausführende sein, wenn du doch der Schöpfer sein kannst?«
    Er sah sie verständnislos an. »Schöpfer? Ein Baumeister? Ein Baumeister erschafft nicht, er baut nur. Ein Künstler erschafft etwas. Der Reiter ist ein Kunstwerk. Er hat nicht seinesgleichen. Das ist es, was ein Künstler tut. Nur dank seines Geistes und seiner eigenen Kräfte entstehen Dinge, die vorher nicht da waren.«
    »Das trifft auch auf ein Bauwerk zu.«
    »Ihr könnt den Unterschied natürlich nicht ahnen, Schwester.«
    »Nein, aber ich kann den Unterschied sehen zwischen dem Reiter dort an der Säule und dem, was du auf deinem Blatt daraus gemacht hast.«
    Er räusperte sich und wurde noch roter.
    »Warum muss es ausgerechnet der Reiter sein?«, fragte sie sanfter. »Kannst du denn nicht mit etwas Einfacherem anfangen?«
    »Ich möchte einen zweiten Reiter schaffen!«, platzte er heraus.
    »Was?«
    »Er sollte nicht allein sein. Es war nie geplant, dass er allein sei. Seht Ihr den Blick, den er ins Kirchenschiff wirft? Alle Welt sagt, dass er zum Grabmal von Kaiser Heinrich blickt und ihm seine Ehrerbietung erweist. Aber in Wahrheit geht sein Blick darüber hinaus, geht zu jener Säule dort drüben. Seht Ihr sie?«
    »Ja …«
    »Sie ist leer. Es war geplant, dass dort ein zweiter Reiter stünde.«
    »Ein … zweiter Reiter?«, brachte Elsbeth hervor, gegen ihren Willen fasziniert. Der junge Mann fuchtelte aufgeregt mit den Händen in der Luft herum. Er sprang auf und rannte zu der Säule hinüber, die er bezeichnet hatte. Der Weg führte ihn durch das halbe Kirchenschiff. Elsbeth folgte ihm. Er blieb am Fuß der Säule stehen und starrte zu dem Reiter hinüber, der trotz der Entfernung und der Düsternis im Inneren der Kirche in seinen leuchtenden Farben erstrahlte, als falle ein verirrter Sonnenstrahl auf ihn.
    »Seht Ihr? Stellt Euch hierher und seht hinüber.«
    Elsbeth tat es.

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