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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Roger erinnerte sich an den alten Brunnen auf dem Platz vor der Klosterpforte und wusste, wohin er führte.
    »Sag nicht, du hast vergessen, welcher Gang es ist!«, flüsterte Rudolf.
    Ramons tat ein paar rasche Schritte zur Wand der Kammer. Seine Bewacher wollten ihn festhalten, doch Rudolf schüttelte den Kopf. Ramons drehte sich um. Er breitete die Arme aus. »Ich verstehe das nicht«, sagte er, dann weiteten sich seine Augen. »O Gott! O grundgütiger Gott!«.
    Rudolf folgte unwillkürlich seinem Blick, und da sich die Soldaten mit ihm zusammen umdrehten, sah auch Rogers, was sein Vater erspäht hatte. Er holte tief Luft.
    Rudolf machte eine Kopfbewegung. Die Soldaten trugen die Laternen näher an den eingesunkenen Haufen in der Ecke heran und leuchteten ihn aus. Rudolf folgte ihnen und stach mit seinem Schwert in den Haufen. Ein runder, brauner Schädel fiel auf den Boden und rollte dem Grafen vor die Füße. Die Formen anderer Knochen zeichneten sich wie Äste, Stöcke und runde Flusssteine im Laternenlicht ab. Es sah aus wie ein Massengrab, bei dem man vergessen hatte, das Grab selbst auszuheben. Rogers erkannte verfaultes, schwarz gewordenes Tuch, verschimmeltes Leder, dazwischen Schädeldecken, Kieferknochen, das Gespinst von Haar und die Krallen von Knochenhänden. Die Erinnerung an die Toten in der Kapelle im Wald von Staleberc war überwältigend.
    Rudolf hob einen Fuß, um den Schädel davonzuschießen, der ihm vor die Stiefelspitzen gerollt war.
    »Nein … bitte!«, sagte Ramons erstickt.
    Rudolf musterte ihn unter gesenkten Brauen heraus. Schließlich winkte er ihn näher. Ramons bückte sich, hob den Schädel vorsichtig auf und legte ihn zu den anderen Knochen zurück. Erst jetzt fiel Rogers auf, wie klein der Knochenschädel war. Die Augenhöhlen schienen erstaunt zu blinzeln im unregelmäßigen Flackerlicht der Laternen.
    »Ich nehme an, du hast eine Erklärung«, sagte Rudolf.
    Ramons öffnete den Mund. In seinen Augen schimmerten Tränen. Doch Rogers kam ihm zuvor. Ihm war noch kälter geworden. Der kleine Schädel hatte die Geschichte in ihm erklingen lassen, die sein Vater im Haus des Juden in Papinberc erzählt hatte.
    »Olivier ist nicht im Heiligen Land«, sagte er. »Weder er noch seine Familie. Dort liegen sie, nicht wahr? Ihr habt den Schatz bis hierher begleitet, du und Olivier. Ich vermute, die Idee, weiter ins Heilige Land zu ziehen und dort in einem der Fürstentümer des Outremer Schutz zu suchen, die nach dem ersten Kreuzzug entstanden sind und von denen etliche mit unserem Glauben sympathisieren, ist Olivier erst auf der Reise hierher gekommen. Du, Papa, bist zu uns zurückgekehrt, nachdem du den Schatz in sicherem Gewahrsam wusstest.«
    »Olivier hat mich bestürmt, mit ihm ins Heilige Land zu gehen …«
    »Aber du wolltest wieder bei deiner Familie sein. Wäre es nicht so gewesen, würden wir, wenn wir diesen elenden Haufen durchwühlten, auch ein Skelett finden, das einen verfaulten rot-silbernen Waffenrock trägt.« Rogers brach ab, weil der Gedanke daran seine Kehle eng machte. Er schüttelte den Kopf. »Wenn ich daran denke, dass ich kurz mit dem Gedanken gespielt habe, Hertwigs Mission zu vollenden und in Terra Sancta nach Olivier zu suchen … ich würde immer noch dort herumirren.«
    Rudolf war bei Rogers’ Worten näher an den Leichenhaufen herangetreten und hatte noch ein paar Mal mit dem Schwert darin herumgestochert. »So enden hier also gleich mehrere Spuren«, murmelte er. »Wenn ich wüsste, welcher von diesen Knochenschädeln dir gehört, Olivier de Terme, würde ich ihn mitnehmen nach Brugg und in den Schwarzen Turm bringen.«
    »Lass die Toten ruhen«, sagte Ramons rau.
    Rudolf wandte sich zu ihm um. Er lächelte. »Welcher Gang ist der richtige, Trencavel?«
    »Keiner«, sagte Ramons.
    Das Lächeln des Grafen erlosch. »Was soll das heißen?«
    »Der Schatz war hier in der Kammer«, sagte Ramons. »Genau an dieser Wand haben wir die Truhen abgestellt. Die Benediktiner haben geschworen, ihn zu behüten. Hast du nicht gesehen, dass der Tote vorne bei der Zisterne eine Benediktinerkutte trug? Irgendetwas ist geschehen. Der Schatz ist verschwunden.«
    Rudolf starrte Rogers’ Vater lange an. Über sein Gesicht irrlichterten Gefühle schneller als das Blinzeln der Schatten in den Augenhöhlen des Knochenschädels. Dann nahm er sein Schwert, schritt um Ramons herum und näherte sich Rogers. Rogers fühlte, wie sein Bewacher ihm die Beine wegtrat. Er sackte auf

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