Die Pforten der Ewigkeit
dem Boden lachte heiser. »Die Betrüger betrügen sich gegenseitig, und das auch noch mit den allerhehresten Ausreden. Ich muss wirklich im Himmel sein.«
»Bruder Michael ist damals nicht umgekommen, genauso wenig wie zuvor Bruder Azrael«, sagte Gabriel nüchtern. »Die beiden haben sich eine Geschichte ausgedacht, um uns alle zu narren. Michael lebt seit über fünf Jahren hier in Wizinsten, unter seinem Geburtsnamen Meffridus. Der verkohlte Leichnam, den wir damals aus den Trümmern gezogen waren, war Bruder Jophiel.«
»Hat er …?« Rudolf deutete fassungslos auf den ächzenden Azrael.
Gabriel schüttelte den Kopf. »Er hat es nur bestätigt. Ich weiß es, seit ich letztes Jahr hier war auf der Jagd nach Rogers Trencavel.«
Graf Rudolf erbleichte. Rogers fühlte sich seltsam schwindlig im Kopf nach der Episode in der vermeintlichen Schatzkammer und wandte ein: »Zum hundertsten Mal: Nur ein Ramons kann den Namen …«
»Halt den Mund, Sohn«, sagte Ramons. »Wenn einer den Namen verdient hat, dann du.«
»Ihr habt es seit über einem Jahr gewusst?«, brachte Graf Rudolf heraus.
»Nicht das mit dem Schatz. Davon wusste ich gar nichts. Und dass Bruder Azrael noch lebte, weiß ich auch nur, weil ich in Ebra dem Sakristan nachgeschlichen bin, als der sich gestern im Morgengrauen heimlich verdrückte. Mir war nur bekannt, dass Michael noch lebte. Wir sind zusammengetroffen.«
»Und davon habt Ihr mir nichts …!?«
Gabriel zuckte die Achseln. Er sah Rudolf offen in die Augen. »Es war ein Bruderschaftsschwur. Ich hatte allerdings Vorbereitungen getroffen, Euch zu informieren, falls mir etwas zustoßen sollte.«
»Ein Bruderschaftsschwur? Ihr habt mir Loyalität geschworen, ihr alle! Ich habe euch aus eurem miesen, verdreckten Mönchsdasein befreit und eurem Leben ein Ziel jenseits von Gebet und Arbeit gegeben, und das ist der Dank? Ein Bruderschaftsschwur, zum Henker! Ihr wart meine Elite! Ich habe euch meine Pläne anvertraut, mein Leben. Und jetzt stelle ich fest, dass die Einzigen, die mir die Treue gehalten haben, die beiden sind, die damals ums Leben gekommen sind – Uriel und Jophiel!«
Azrael lachte sein raschelndes Lachen. »Was habt Ihr gedacht, Graf? Dass ein Vermögen, das Euch dazu gebracht hat, Kaiser Federico zu hintergehen, geringere Sterbliche kaltlassen würde?«
Gabriel seufzte. »Michael hatte es auf den Ketzerschatz abgesehen. Er hat sich mit seiner Hilfe hier eine Existenz aufgebaut. Er hat die ganze Stadt im Griff.«
»Dann hat er … mein Gold?«
»Ist es nicht hier?«
»Nein!«, brüllte Rudolf.
Gabriel neigte den Kopf. »Dann hat er es. Ich werde es für Euch …«
»Ihr werdet niederknien!«, schrie Rudolf. »Niederknien!«
Gabriel zögerte nur einen Moment. Seine Augen verengten sich, aber dann wurde sein Gesicht ausdruckslos. Er kniete sich vor Rudolf auf den Boden, den Oberkörper aufrecht. »Ich bitte demütig um Verzeihung für meinen Fehler, Erl…«
»Nicht hier!« Rudolf wich einen Schritt zurück. Er hatte am ganzen Körper zu zittern begonnen. Schaum trat in seine Mundwinkel, genau wie in Papinberc, als Ramons seinen heroischen Abgang durchkreuzt hatte. Sein Atem ging schwer. Langsam zog er das Schwert aus der Scheide. »Neben ihn !«
Die Soldaten betrachteten die Szene mit offenen Mündern. Gabriel holte tief Luft, dann stand er auf, trat zu Azrael und kniete sich an seiner Seite nieder. Rudolf starrte ihn hasserfüllt an. Drüben an der Wand schloss Sariz die Augen. Rogers stellte fest, dass Gabriels Blick auf ihm ruhte. Er sah die Furcht in den Augen des Pfarrers flackern, aber auf seinem Gesicht zeichnete sich keinerlei Gefühl ab.
»Nehmt ihm die Gugel ab!«
Zwei Soldaten sprangen herbei und zerrten Gabriel den ledernen Hersenier herunter, den er über dem geliehenen Waffenrock trug. Darunter war sein Hals bloß und weiß. Die Soldaten zogen sich wieder zurück, als hätten sie gerade einen Löwen von seiner Halskette befreit.
»Meine Treue hat immer Euch gehört, Erlaucht«, sagte Gabriel ruhig.
»Haltet den Mund!«
Rudolf stapfte heran, hob das Schwert, nahm es in beide Hände und berührte mit der Klinge Gabriels Nacken. Gabriels Lider zuckten. Dann holte der Graf langsam aus. Gabriels Blick war immer noch auf Rogers gerichtet. Bei allem Hass konnte Rogers nicht umhin, den Mut des Mannes zu bewundern. Er wusste, wie er sich in der Schatzkammer gefühlt hatte. Er wusste, wie Gabriel sich fühlte. Gabriel ließ ihn ein verächtliches Lächeln
Weitere Kostenlose Bücher