Die Pforten der Ewigkeit
Stelle …«, stöhnte Hertwig.
»Was hast du gesagt!?«
»Ich wollte … Olivier de Terme … er hat mir gesagt, ich soll Olivier de Terme suchen …«
Rogers hörte ihm fassungslos zu. Er versuchte, etwas zu sagen, aber seine Lippen waren taub. Wann hatte er das zum letzten Mal gehört: Ich bin ein Bote des Lichts und der Wahrheit? Die perfecti pflegten es zu sagen, wenn sie das Haus eines Glaubensgenossen betraten. War Hertwig … ein Gläubiger!? Aber ein Gläubiger hätte nie die Formel benutzt, die den perfecti vorbehalten war. Nicht einmal Rogers’ Vater, Graf Ramons, hätte sie im Munde geführt, und zu ihm hatten die meisten perfecti aufgesehen als dem Schutzherrn ihrer Welt.
»Ich habe eine wichtige Botschaft«, stammelte Hertwig. Tränen traten aus seinen Augen. Sein Körper bäumte sich auf. »Von … ihm ! Lass … lass sie nicht … mit mir sterben!«
»Ich dachte, du darfst sie nicht verraten?«, sagte Rogers das Einzige, was ihm einfiel.
»Zwanzig Denare?«, brüllte der Mann mit dem Schwert. »Dafür bekomme ich den halben Harem von Sultan Turanschah und ein Dutzend Kastraten als Dreingabe!«
»Ich sorge dafür, dass die Garde von Sultan Turanschah dich zum Kastraten macht, wenn du mir den Schaden nicht ersetzt!«, tobte der Händler.
Hertwigs Hand schoss plötzlich nach oben und verkrallte sich in Rogers’ Gewand. Die Kraft des Sterbenden zog Rogers nach unten, so dass sein Ohr dicht an Hertwigs Mund war.
»Kaiser … Federico … ist tot!«
Rogers wurde noch kälter. Gleichzeitig dachte er: Und du hattest geglaubt, all das ginge dich nichts mehr an! Die Dreifaltigkeit aus Hörern, Gläubigen und Vollkommenen; die convenanza; das consolamentum; der Kampf des Lichts gegen die Dunkelheit, aus der die Welt und alles darin geschaffen worden war vom Bösen an sich: von dem, den die katholische Kirche Gott nannte … Du hast geglaubt, sie wären dir alle egal – deine Mutter, deine Schwester, dein Vater, deine ehemaligen Glaubensbrüder und ihre verzweifelte Hoffnung, dass ein Mann die Kraft hatte, den Sieg der Dunkelheit, den Sieg der Päpste, aufzuhalten: Friedrich von Hohenstaufen, genannt Federico, Kaiser des Heiligen Römischen Reichs … der ein Versprechen gegeben und es nie eingehalten hatte … der dem Sterbenden in Rogers’ Armen ein Geheimnis verraten hatte. Vielleicht war es das Letzte, was der Kaiser noch hatte sagen können?
»Ist das deine Botschaft?«, hörte er sich sagen.
»Nein …!« Hertwigs Blicke bohrten sich in Rogers’ Augen. Unvermittelt wurde diesem klar, dass der junge Mann selbst im Todeskampf noch zweifelte, ob er sein Geheimnis nicht besser mit ins Grab nahm.
»Ich bin ein Gefäß für das Licht und die Wahrheit«, sagte Rogers. Ihm war, als kauere er plötzlich nackt auf diesem erbärmlichen Dorfplatz und stürze zurück in eine Zeit, in der er noch geglaubt hatte, dass der Sieg des Guten möglich sei.
Hertwig zerrte an Rogers’ Gewand. »O mein Gott«, keuchte er. »Olivier … der Kaiser hat gesagt, Olivier würde das antworten … Wer bist du!?«
»Was solltest du Olivier mitteilen?«
»Er soll … geh nach Staleberc«, stammelte Hertwig. »Wichtig … geh nach … Staleberc.«
»Was? Ist das die Botschaft?«
»Nuorenberc … in der Nähe von … Nuorenberc … Versprich … versprich es mir …«
»Ist das die Botschaft?«
»Staleberc … meine … Heimat …«
»Hertwig! Ist das die Botschaft!?«
»Ich habe … es versucht …« Hertwigs Stimme verstummte zu einem undeutlichen Gemurmel.
Rogers tätschelte die grau gewordenen Wangen Hertwigs. Er tätschelte immer fester. »Hertwig!«, schrie er. »Was ist die Botschaft?«
Die Lider Hertwigs flatterten.
»Geh nach Staleberc … ich kann … nicht mehr … ich habe es jemandem dort … gesagt … sag ihnen nicht, wie ich gestorben bin … sag ihnen nur, dass … sie werden dir … meine Eltern werden dir …« Der junge Mann sank zurück. Plötzlich wurde sein Blick vollkommen klar, und sein Atem wurde ruhig. »Rogers!«
»Ja?«
»Er ist gestorben. Kaiser Federico ist gestorben. Aber er hat uns sein Vermächtnis hinterlassen. Weißt du, was er zu mir gesagt hat …?«
»Sag es mir, Hertwig.«
Ein Schatten fiel über sie. Rogers blickte auf. Der Besitzer von Alice de Chacenay stand vor ihnen. Er hatte das Schwert gegen eine kurze Lanze getauscht. Er hob sie hoch.
»Ich habe den Hund gekauft«, sagte er, »und jetzt steche ich ihn ab wie einen
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