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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Kreuzgang, nicht wahr?«
    Sie nickte. »Sehr gut.«
    Da sie schwieg, hörte sie ihn nach eine Weile etwas Unverständliches murmeln und kurz darauf das Kratzen des Holzstifts auf dem Pergament.
    »Das Herz und die Seele des Klosters«, sagte sie leise. »Vier Seiten – vier Gänge – vier Himmelsrichtungen. Alle anderen Gebäude des inneren Klosterbereichs schließen daran an – sie werden durch den Kreuzgang miteinander verbunden. Ein Brunnen spendet frisches Wasser, oder ein Becken, in das Wasser durch einen Kanal zugeführt und auf der anderen Seite wieder abgeführt wird. Das Wasser nährt einen Garten … nicht den Obstgarten im äußeren Klosterbereich, nicht die Gärten der Pächter … den zentralen Garten im Herzen des Klosters … den Garten des Psalms …«
    »Ein hortus conclusus «, hörte sie Wilbrand brummeln. »Zusätzliche Arbeit, weil man dafür sorgen muss, dass genügend Humus dort hingeschafft wird und dass der Boden nicht zu hartgetrampelt wird bei den Bauarbeiten … am besten errichtet man eine niedrige Plattform darüber … noch mehr Arbeit …«
    Sie achtete nicht auf ihn, ebenso wenig wie sie darauf achtete, dass er sich noch immer nicht mit seiner Aufgabe identifiziert hatte, weil er ständig »man« sagte statt »wir«. Meine Schwester, liebe Braut , flüsterte eine Stimme in ihr. Du bist ein verschlossener Garten, eine verschlossene Quelle … Ein Gartenbrunnen bist du, ein Born lebendigen Wassers. Steh auf, Nordwind, und komm, Südwind, und wehe durch meinen Garten, dass der Duft seiner Gewürze ströme.
    Wie immer löste das Hohelied Salomos auch jetzt ein tiefes Verlangen in ihr aus. Elsbeth blickte vorsichtig zur Seite. Die Vision des Mannes war verschwunden, seit sie zu sprechen begonnen hatte, doch nun meinte sie sein Lächeln erneut wahrnehmen zu können. Bestürzt erkannte sie, was ihr vorher niemals klar gewesen war: wie viel Sinnlichkeit sich einem eröffnete, wenn man den Glauben an Gott als den Glauben an die Liebe und die ewige Fortsetzung des Lebens verstand.
    Hatten die ersten Inquisitoren aus dem Orden der Zisterzienser, als sie sich bereit erklärt hatten, gegen die Ketzerei der Albigenser zu predigen, den Glauben ebenso verstanden und die Doktrin der perfecti verabscheut, dass das Leben, so wie es die Menschen kannten, nur ein Gefängnis für die Seele war, die danach hungerte, im Licht aufgehen zu dürfen? Dass es falsch war, das Leben fortzusetzen, weil damit weitere Seelen gefangen wurden? Sie fühlte die alte Verständnislosigkeit wieder, die sie auch damals in Colnaburg in den Gesprächen mit den Frauen der Albigenser beschlichen hatte. Wie die Albigenser zu leben versuchten und woran sie glaubten, war so rein, so christlich … bis auf die absolute Lebensfeindlichkeit, die man erkannte, wenn man sich näher mit den Gedanken derjenigen befasste, die die Albigenser als die Vollkommenen betrachteten. Sie schüttelte den Kopf. Plötzlich war ihr, als sei das Kloster, das sie erbauen wollte, so wichtig wie kein anderes, weil sie damit einen weiteren Beweis dafür erbringen konnte, dass der Glaube an den Gott, dessen Sohn Jesus Christus war, ein Ja zum Leben war und nicht die Anbetung eines bösen Dämons, der Unterwerfung forderte und Rache übte … ein Beweis dafür, dass die Kirche nicht nur aus Bischöfen und Kardinälen bestand, die sich um Pfründe kümmerten, statt um das Heil, aus Mönchsorden, die sich im Schutz der Klausur längst der Korruption ergeben hatten, und aus Päpsten, die die Welt und alle Andersdenkenden lieber mit Krieg überzogen statt darüber nachzudenken, dass Gott es gewesen war, der die Vielfalt geschaffen hatte. Es würde ein weiterer Beweis sein, dass man über den Glauben den Himmel erreichen konnte.
    »Porta Coeli«, flüsterte sie. »Himmelspforte.«
    Sie hörte den Stift kratzen. »Schöner Name«, sagte Wilbrand.
    Elsbeth tauchte wie aus einem Traum auf. »Was?«
    »So wollt Ihr das Kloster doch nennen, oder nicht?«
    »Ja«, sagte sie. »Ja …« Sie erkannte, dass sie es bis gerade eben selbst nicht gewusst hatte.
    »Der Kreuzgang«, half Wilbrand ihrer Erinnerung aus, als sie nichts weiter sagte. »Das Zentrum des Klosters …«
    »Er muss geschlossen bleiben«, sagte sie langsam. »So wie nichts in das Herz eindringen soll, das den Körper am Leben erhält, soll auch nichts von außen in den Kreuzgang eindringen können. Ausnahmen gibt es nur, wenn die Glaubensfestigkeit und die liebevolle Verbindung zur Welt

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