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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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bleib stehen, du Miststück!«
    Elsbeth rannte auf die Torwachen zu. Der Bettler schloss schneller auf, als sie gedacht hatte. Sie wagte nicht, sich umzudrehen, aber sie war sicher, dass er sich die Binde von den Augen gerissen hatte und bereits die Finger in den Mund steckte. Da – der Pfiff gellte. In all den Gassen ringsum würden nun blinde, taube, lahme oder anderweitig verkrüppelte Bettler aufspringen, und da der Domplatz gleich in der Nähe war, würden es nicht wenige sein. Der Herr würde Wunder wirken und Blinde sehend, Lahme gehend und Taube hörend machen, unter schäbigen Mänteln verborgene Gliedmaßen würden zum Vorschein kommen, Krücken würden sich in Prügel verwandeln, und sie würden von überallher auf dem Jakobsplatz zusammenlaufen, weil einer der ihren in Bedrängnis geraten war.
    »Gib das Geld zurück!«, hörte sie den Blinden hinter sich rufen. Er hatte sie fast erreicht. Sie schlug einen Haken, um einen Mann herum, der stehen geblieben war und mit offenem Mund gaffte. Der Blinde war ebenso behände und rannte auf der anderen Seite um den Gaffer herum.
    »Danke für das Almosen!«, rief sie atemlos über die Schulter.
    Der Bettler brüllte auf. Sie hörte seine bloßen Füße direkt hinter sich auf den Boden patschen und sprang über einen anderen Haufen Pferdeäpfel. Der Bettler pflügte mitten hindurch. Pferdemist spitzte auf, Leute sprangen beiseite. Der Bettler geriet für wenige Augenblicke ins Schlingern, dann holte er erneut auf.
    Der Torwächter, der dem Juden den Hut voller Pferdekacke auf den Kopf gedrückt hatte, sah auf, als Elsbeth mit wehendem Schleier und fliegendem Habit auf ihn zustürzte. Seine Augen öffneten sich überrascht. Da war Elsbeth bereits vor ihm, schrie: »Nimm’s!«, der Torwächter, der instinktiv die Arme ausgestreckt hatte, um Elsbeth entweder aufzufangen oder abzuwehren, fand plötzlich eine Schüssel in die Hände gedrückt, aus der Münzen nach allen Richtungen herausflogen, während die rasende Nonne an ihm vorbeisauste. Er vollführte die kleine Pantomime, die Leute immer vollführen, wenn ihnen etwas aus den Händen zu gleiten droht, versuchte im Auge zu behalten, wohin die Münzen rollten – wenn man schon etwas geschenkt bekam, sollte man es auch wertschätzen –, doch da prallte etwas in ihn hinein, was bei weitem schwerer war als die Nonne und auch deutlich schlechter roch. Er flog auf den Rücken und schlitterte einen Schritt weiter, und da man auf trocken und hart getrampeltem Erdboden nicht zu schlittern pflegt, ahnte er, worin er gelandet war. Er bäumte sich auf, um sich von der Spur plattgewalzter Pferdeäpfel herunterzurollen, doch was immer auf ihm lag, begann auf ihn einzuprügeln und -schreien.
    »Gib mir mein Geld zurück!«, verstand er.
    Er schüttelte den Verrückten ab, der sich auf ihn gestürzt hatte. Der Verrückte blieb nicht lange abgeschüttelt. Der zweite Torwächter befreite seinen Kameraden mit einem gezielten Tritt. Der Verrückte rollte in einen danebenliegenden Haufen.
    Und dann waren die anderen Bettler auf dem Jakobsplatz und orientierten sich …
    … einer der ihren wurde grundlos von zwei Torwachen mit Fußtritten traktiert und im Pferdemist gewälzt …
    … und Elsbeth packte die erstarrt dastehende Reinhild, zog sie mit sich und rief im Vorbeilaufen der jüdischen Familie zu: »Lauft weg, solange sie beschäftigt sind!«
    Sie rannten die Gasse hinunter, die zum Dom führte. Schon kamen ihnen die ersten Leute entgegen, die den zum Westtor strömenden Bettlern folgten in der sicheren Überzeugung, dass es sich lohnte mitzulaufen, wenn alle es taten. Es kamen immer noch mehr Blinde, Lahme und Taube. Hinter sich hörte sie die Geräusche, die entstehen, wenn zwei Übeltäter unter einer immer größer werdenden Menge anderer Übeltäter verschwinden und sich ebenso vehement wie vergeblich dagegen wehren. Elsbeth konnte nicht anders; sie warf im Laufen den Kopf zurück und begann zu lachen.
    Bis sie im Kloster angekommen waren, war ihr das Lachen wieder vergangen.
    Elsbeth hatte Reinhild in die Kirche geschickt, um mit Lucardis unter vier Augen sprechen zu können. Nun wartete sie, dass die Äbtissin Zeit für sie fand. Sankt Maria und Theodor war weit davon entfernt, der Ort für stille Einkehr und Andacht zu sein, an den Elsbeth sich seit ihrer Ankunft in Wizinsten zurückgesehnt hatte. Sie hörte eiliges Laufen, Stimmen und Streitereien, während sie wartete. Die Kirche war voller Leute gewesen, obwohl

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