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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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es weder Zeit für die Messe noch für ein Stundengebet war. Sie war einigen Schwestern begegnet, aber alle waren nur an ihr vorbeigehastet, als wäre sie lediglich einen oder zwei Tage auswärts gewesen.
    Je länger sie in der Kammer der Äbtissin saß, desto beklommener wurde ihr zumute und desto grimmiger empfand sie die Situation am Westtor. Juden waren seit jeher ein Bestandteil Papinbercs gewesen. Sie lebten fast alle im Bereich des Judengässchens am Fuß des Kaulbergs und waren den Zisterzienserinnen oben im Kloster schon deshalb nicht fremd, weil sie immer wieder Berührungspunkte hatten. Daniel bin Daniel, einer der erfolgreichsten jüdischen Kaufleute, war sogar dank seiner Fähigkeit, Geld in beinahe unbegrenztem Maß verleihen zu können, so etwas wie der gute Geist vieler Papinbercer Unternehmungen. Vermutlich hatte sogar Bischof Heinrich bei ihm Schulden – was keine Kunst war, da er der ganzen Welt Geld schuldete. Man erkannte die Männer, Frauen und Kinder aus dem Judengässchen nur dann, wenn man wusste, wer sie waren; sie sprachen und kleideten und gebärdeten sich nicht anders als die christlichen Papinbercer. Judenfleck? Gelber Judenhut? Elsbeth hatte von den Anfeindungen gehört, denen Juden in anderen Städten ausgesetzt waren und die mancherorts so weit gegangen waren, dass Kaiser Federico die Juden als seine persönlichen Knechte bezeichnet hatte, um sie unter den Schutz des Reichs zu stellen. Aber hier in Papinberc …? Niemals!
    Doch war es wahrscheinlich, dass die Torwachen am Westtor sich nur einen bösen Scherz erlaubt hatten? Hm …
    Lucardis kam mit dem üblichen Schwung hereingestürmt, hob Elsbeth fast von ihrem Hocker hoch und umarmte sie stürmisch.
    »Was ist denn hier los?«, fragte Elsbeth, die eigentlich hatte erzählen wollen, wie sie das ehemalige Benediktinerkloster in Wizinsten als Spukhaus vorgefunden hatten, in dem noch die Strohmatratzen der Mönche auf den Lagern vor sich hinschimmelten, wo in dem Raum, der wahrscheinlich als Refektorium genutzt worden war, noch eine Vorlesebibel auf dem Katheder gelegen war, als habe man keine Zeit gefunden, sie mitzunehmen, die Seiten von Mäusen angefressen, das Blattgold von den Illuminationen geplatzt, aufgequollen in der Feuchtigkeit wie ein Kadaver; wo es kaum ein dichtes Dach gab, wo die Spuren ihrer Vorgänger durch getrockneten Schlamm und über festgebackene Tierköttel verliefen und bewiesen, dass das Kloster bereits ein Schweinestall gewesen war, als die Benediktiner es noch bewohnt hatten; wo sie in einer Ecke Dutzende von zerbrochenen Weinkrügen gefunden hatten und in der Speisekammer die Überreste der Vorräte, die selbst den Ratten zu vergammelt gewesen waren; wo der Obstgarten ein Dickicht war, die Bäume seit Jahren nicht zurückgeschnitten, das Gras nicht gemäht und das Unkraut nicht gejätet, der Gemüsegarten eine kleine Wüstenei aus Lehm und abgestorbenen Gewürzkräutern und der Apothekergarten ein Miniatururwald, in dem Quecken alle anderen Pflanzen erstickt und Winden den Rest erdrosselt hatten. Sie hatte beschreiben wollen, wie abweisend die Wizinstener sie empfangen hatten und wie sie das Kloster immer noch mieden, wie es Elsbeth und den Schwestern nicht gelungen war, auch nur eine einzige helfende Hand zu rekrutieren, und wie ihnen ausdruckslose Blicke folgten, wenn sie durch die Gassen gingen; wie die Einladung zu einer gemeinsamen Messe, die sie nach Ostern ausgesprochen hatten, einfach ignoriert worden war und wie ihnen sogar der Pfarrer aus dem Weg ging. Sie hatte überlegt, ob sie zugeben würde, dass sie eines Tages den baufälligen alten Wachturm am Westende des Klosterareals hochgestiegen war und oben eine Stunde lang zuerst vor Wut geschrien und dann vor Frustration und Heimweh geweint hatte. Sie hatte mit der Möglichkeit gespielt zu beichten, dass sie ihre eigene Idee mittlerweile als närrisch empfand und dass sie nichts so sehr wünschte, als wieder in Sankt Maria und Theodor leben zu dürfen, und dass sie hoffte, Lucardis möge einen guten Einfall haben, wie dies zu bewerkstelligen war und Hedwig dennoch nicht in Gefahr gebracht wurde … Hedwig, die kaum jemals mitarbeitete, sondern nur durch das Klosterareal schwebte mit einem entrückten Ausdruck auf dem Gesicht und einem freundlichen Lächeln für jede ihrer Schwestern, und der keine dieses Verhalten übel nahm, weil es so wenig Freundlichkeit und gar kein Lächeln für sie alle in ihrer neuen Heimat gab und das Geschenk Hedwigs an

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