Die Pforten Des Hades
Gelassenheit und Würde aus. Die Malerin war offenbar recht stolz auf ihr Werk, denn am rechten unteren Bildrand hatte sie mit IAIA CYZICENA signiert. Den Buchstaben »A« schrieb sie mit einem exzentrischen Schnörkel, den Querbalken stark nach rechts unten geneigt.
Auf beiden Seiten des Tisches standen kleine Bronzestatuen auf Sockeln, beide etwa von der Höhe einer Elle. Die Statue zur Linken konnte ich nicht sehen, weil sie von Crassus achtlos beiseite geworfenem Chlamys verdeckt wurde. Diejenige rechts neben dem Tisch stellte einen Hercules dar, der über seinen Schultern eine Keule trug und bis auf einen Löwenfell- \ umhang völlig nackt war. Der Kopf des Löwen diente Hercules als Kapuze, während die Vordertatzen um seinen Hals verschränkt lagen. Für eine Bibliothek war dies eine eigenartige Wahl, auch wenn sich die kunsthandwerkliche Qualität des Objekts nicht bestreiten ließ: Das Fell des Löwen war sorgfal- j
tigst gearbeitet und zeichnete sich deutlich gegen den muskulösen Körper des Halbgottes ab. Offenbar war Lucius Lici-nius mit seinen Kunstwerken ebenso achtlos umgegangen wie mit seinen Büchern, denn es sah so aus, als ob das Fell auf dem Löwenkopf an den Randern zu rosten begonnen hatte.
»Marcus Crassus«, setzte ich erneut an.
Er seufzte und winkte ab, ohne aufzublicken. »Ja, du kannst jetzt gehen. Ich denke, ich habe hinreichend deutlich gemacht, daß ich deinem Vorhaben ohne jede Begeisterung gegenüberstehe, doch ich werde dich unterstützen, mit was auch immer du brauchst. Halte dich zuerst an Fabius oder Mummius. Wenn du in irgendeinem Punkt keine befriedigende Antwort erhältst, komme direkt zu mir, obwohl ich dir nicht garantieren kann, daß du mich finden wirst. Ich habe sehr viele geschäftliche Angelegenheiten zu regeln, bevor ich nach Rom zurückkehre, und nur wenig Zeit. Wichtig ist, daß hinterher niemand behaupten kann, daß nicht nach der Wahrheit geforscht oder der Gerechtigkeit nicht Genüge getan worden wäre.« Endlich wandte er den Kopf, allerdings nur, um mir ein müdes und unaufrichtiges Lächeln der Entlassung zuzuwerfen.
Ich trat auf den Flur und schloß die Tür hinter mir. Der Leibwächter bot mir an, mir den Weg in meine Kammer zu weisen, doch ich erklärte ihm, daß ich durchaus wach war. Im Hauptatrium blieb ich einen Moment stehen, um noch einmal die Leiche von Lucius Licinius zu betrachten. Man hatte noch mehr Weihrauch herbeigeschafft, doch wie der Duft von Rosen scheint auch der Gestank der Verwesung nachts intensiver zu werden. Ich war schon auf halbem Weg zurück in mein Zimmer, als ich abrupt kehrtmachte.
Der Wächter war überrascht und ein wenig argwöhnisch. Er bestand darauf, die Bibliothek zunächst allein zu betreten, und beriet sich mit Crassus, bevor er mir Einlaß gewährte. Dann trat er wieder in den Flur, schloß die Tür hinter sich und ließ uns beide allein.
Crassus schwitzte noch immer über den Büchern. Er saß jetzt in seiner Untertunika da, nachdem er seine Reittunika abgelegt und über den Hercules geworfen hatte. In der kurzen Zeit, die ich weg gewesen war, hatten die Sklaven ein Tablett mit einem Becher voll dampfender Flüssigkeit gebracht, an der Crassus nippte. Der Aufguß aus heißem Wasser und Minze erfüllte den Raum mit seinem Aroma.
»Ja?« Er runzelte ungeduldig eine Braue. »Gibt es irgend etwas, das anzusprechen ich versäumt habe?«
»Nur eine Kleinigkeit, Marcus Crassus. Vielleicht irre ich mich auch«, sagte ich und nahm seine noch körperwarme Tunika von dem Hercules. Crassus sah mich finster an. Er war es ganz offensichtlich nicht gewöhnt, daß seine persönlichen Sachen von Menschen berührt wurden, die er nicht besaß.
»Eine sehr interessante Statue«, bemerkte ich, den Hercules von oben betrachtend.
»Mag sein. Es ist die Kopie eines Originals, das in meiner Villa bei Falerii steht. Lucius hat es bei einem seiner Besuche bewundert, so daß ich eine Kopie für ihn anfertigen ließ.«
»Welch eine Ironie des Schicksals, wenn man ihn ausgerechnet damit ermordet haben sollte.«
»Was?«
»Ich denke, wir sind beide hinreichend vertraut mit dem Anblick von Blut, um es zu erkennen, Marcus Crassus. Oder wofür hältst du die rostartige Substanz in den Falten des Löwenfells?«
Er erhob sich von seinem Stuhl, blickte nach unten, nahm die Statue dann in beide Hände und hielt sie unter eine Hängelampe. Schließlich stellte er sie wieder auf den Tisch und sah mich nüchtern an. »Du hast sehr scharfe
Weitere Kostenlose Bücher