Die Pforten Des Hades
hochgeschreckten Mannes, den Unterkiefer schlaff und die Lider schwer vom Schlaf. Ich blinzelte in die Lichtreflexe einer Lampe, die hinter mir hochgehalten wurde, und erkannte im Spiegel einen bedrohlichen Riesen im Gewand eines Soldaten. Sein Gesicht war dreckverschmiert, häßlich und blöde wie die Maske aus einer Komödie. Ein Leibwächter - ein ausgebildeter Mörder, dachte ich, den Typus auf Anhieb erkennend. Ich fand es grausam ungerecht, daß jemand einen gedungenen Mörder geschickt hatte, mich zu töten, bevor ich überhaupt Gelegenheit hatte, irgendwelchen Ärger zu machen.
»Habe ich dich geweckt?« Seine Stimme war heiser, aber überraschend sanft. »Ich habe geklopft und hätte schwören können, daß ich dich antworten gehört habe, also bin ich reingekommen. Und weil du so auf dem Stuhl gesessen hast, dachte ich, du müßtest wach sein.«
Er zog eine Braue hoch. Ich erwiderte seinen Blick mit einem dumpfen Starren und war mir nicht länger sicher, ob ich wirklich wach war. Dabei fragte ich mich, wie er in meinen Traum geraten sein mochte. »Was willst du hier?« fragte ich schließlich.
Das Gesicht des Soldaten verzog sich zu einem schmeichlerischen Lächeln. »Marcus Crassus verlangt deine Anwesenheit in der Bibliothek unten. Das heißt, wenn du nicht zu beschäftigt bist.«
Ich schlüpfte in meine Sandalen und begann im Licht der Lampe nach einer passenden Tunika zu suchen, doch der Leibwächter erklärte mir, ich solle ihm folgen, so wie ich war. Der ganze Wortwechsel wurde begleitet von Ecos leisem Schnarchen. Der Tag hatte ihn erschöpft, und er schlief außergewöhnlich tief.
Wir kamen durch einen langen geraden Flur ins Atrium, von wo aus eine Wendeltreppe in den offenen Garten führte. Das Licht der winzigen Lampen auf dem Boden warf bizarre Schatten um die Leiche von Lucius Licinius. Die Bibliothek lag an dem Flur, der zum Nordflügel führte. Der Wächter wies auf eine Tür zu unserer Rechten und legte einen Finger auf seine Lippen. »Die Dame Gelina schläft schon«, erklärte er. Ein paar Schritte weiter stieß er eine Tür zu unserer Linken auf und machte mir ein Zeichen, einzutreten.
»Gordianus aus Rom«, verkündete er.
An einem Tisch am anderen Ende des Raumes saß mit dem Rücken zu uns eine in einen Umhang gehüllte Gestalt. Daneben stand ein weiterer Leibwächter. Die Gestalt drehte sich ein wenig auf ihrem Hocker um, gerade genug, daß ich einen kurzen Blick in ihr Auge tun konnte, bevor sie sich wieder ihrer Arbeit zuwandte und den beiden Wächtern ein Zeichen machte, den Raum zu verlassen.
Nach einer Weile stand der Mann auf, warf seinen schlichten Umhang beiseite - einen griechischen Chlamys, wie ihn die Römer häufig tragen, wenn sie am Golf weilen - und drehte sich um, um mich zu begrüßen. Er war mit einer schmucklosen, einfach geschnittenen Tunika aus strapazierfähigem Material bekleidet und sah leicht derangiert aus wie nach einem langen Ritt. Sein Lächeln wirkte müde, aber nicht unaufrichtig.
»Du bist also Gordianus«, sagte er und lehnte sich gegen den mit Schriftstücken bedeckten Tisch. »Ich nehme an, du weißt, wer ich bin.«
»Ja, Marcus Crassus.« Er war nur unwesentlich älter als ich, doch merklich grauer, was eingedenk der Entbehrungen und Tragödien seiner Jugend nicht überraschend war. Er war nach Spanien geflohen, hatte den Selbstmord seines Vaters und die Ermordung seines Bruders durch sullafeindliche Einheiten erlebt. Ich hatte ihn oft auf dem Forum reden gehört und ihn bei der Beaufsichtigung seiner Geschäfte auf den Märkten gesehen, stets begleitet von einem Gefolge aus Sekretären und Lakaien. Es war ein wenig irritierend, ihm so vergleichsweise intim zu begegnen - das Haar zerzaust, die Augen müde, die Hände ungewaschen und fleckig vom Halten der Zügel. Trotz seines legendären Reichtums wirkte er recht menschlich. »Crassus, Crassus, reich wie Krösus«, hieß es in einem Spottlied, und die populäre Fantasie Roms stellte sich ihn als einen Mann von ausschweifenden Gewohnheiten vor. Aber diejenigen, die mächtig genug waren, sich in seinen Kreisen zu bewegen, malten ein anderes Bild, das durch seine unprätentiöse Erscheinung bestätigt wurde; Crassus Gier nach Reichtum galt nicht dem Luxus, den man sich mit Gold kaufen konnte, sondern der Macht, die sich daraus ergab.
»Ein Wunder, daß wir uns nie zuvor begegnet sind«, sagte er mit der glatten Stimme eines geschulten Redners. »Sicher, ich habe von dir gehört. Da war
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