Die Pforten Des Hades
aber ich glaube, ich habe für heute nacht genug. Sogar Marcus Mummius ist schon schlafen gegangen, und wir sollten dasselbe tun.« Er nahm den Hercules vom Tisch und stellte ihn wieder auf seinen Sockel. »Ich nehme an, dies ist ein weiteres deiner kleinen Geheimnisse, die noch vor sich hin gären müssen? Ich werde es nur Morpheus in meinen Träumen anvertrauen.«
Die Lampe, die den Flur beleuchtete, brannte nur noch schwach. Ich schlich an Gelinas Tür vorbei, obwohl Crassus behauptet hatte, daß nichts sie aufwecken könne. In der Dunkelheit überkam mich ein unheimliches Gefühl; dies war genau der Weg, den man auch den toten oder sterbenden Lucius entlang geschleift hatte. Ich blickte über meine Schulter und wünschte beinahe, ich hätte das Angebot des Wächters angenommen, mich zurück zu meinem Zimmer zu begleiten.
Im mondbeschienenen Atrium blieb ich lange Zeit stehen. Der Ort war ruhig, aber nicht völlig still. Der Brunnen plätscherte weiter und hallte in dem brunnenartigen Raum laut genug wider, um alle Geräusche zu übertönen, die ein um Heimlichkeit bemühter Täter möglicherweise unbeabsichtigt verursacht haben könnte. Doch hätte es auch das Quietschen des Messers überdeckt, mit dem man die Buchstaben in die Steinplatte geritzt hatte? Allein der Gedanke an das Geräusch verursachte mir eine Gänsehaut.
Aus dem Augenwinkel sah ich neben der Bahre eine gespenstische weiße Gestalt schweben. Ich wich klopfenden Herzens zurück, bis ich erkannte, daß es nur eine Weihrauchfahne war, die für einen Moment vom bläulichen Mondlicht erfaßt worden war. Ich zitterte am ganzen Leibe, wofür ich die feuchtkalte Nachtluft verantwortlich machte.
Ich stieg die Treppe ins obere Stockwerk hinauf und muß dann den falschen Flur genommen haben, jedenfalls verirrte ich mich. In Abstanden aufgestellte kleine Lampen und schmale Bahnen des Mondlichts, die durch die Fenster fielen, beleuchteten meinen Weg, doch ich hatte die Orientierung verloren. Ich lauschte konzentriert, um festzustellen, in welcher Richtung die Bucht lag, doch statt dessen vernahm ich nur das leise Gurgeln von heißem Wasser, das durch Oratas viel gepriesene Rohre dahinfloß, die unsichtbar unter den Boden und hinter den Wänden verlegt waren. Ich kam an einer geschlossenen Tür vorbei, hinter der ich leises Lachen hörte -die tiefe Stimme von Marcus Mummius, da war ich mir fast sicher, sowie eine leisere Stimme, die ihm antwortete. Ich ging weiter und erreichte eine offene Tür. Aus dem Raum drang ein rauhes, gleichmäßiges Schnarchen. Ich trat ein und sah auf einem breiten Sofa mit einem hauchdünnen Baldachin eine voluminöse Gestalt ruhen, offenbar Sergius Orata. Ich kehrte wieder zurück auf den Flur und folgte ihm weiter, bis ich den halbkreisförmigen Raum erreichte, in dem Gelina uns am frühen Abend empfangen hatte.
»Gordianus der Sucher« nennst du dich, dachte ich verärgert und dankte den Göttern, daß niemand zugegen war, der mich auslachen konnte. Ich war im nördlichen Teil des Hauses gelandet, nachdem ich an der Treppe vom Atrium genau die verkehrte Richtung eingeschlagen hatte. Ich wollte schon umkehren, trat jedoch statt dessen auf die Terrasse, um ein wenig frische Luft zu schnappen und einen klaren Kopf zu bekommen.
Unter dem zunehmenden Mond lag die Bucht da wie eine riesige Ebene aus reinem Silber mit zahllosen winzigen schwarzen Wellenkämmen, umrahmt von dunklen Bergen, aus denen hier und da ein gelber Lichtpunkt aufleuchtete, wo in einem entfernten Haus noch ein einsames Licht brannte. Einige wenige mondbeschienene, zerklüftete Wolken zogen am Himmel dahin, doch ansonsten war es eine sternklare Nacht. Von der Aussicht in Bann geschlagen, hätte ich den schwachen Lichtschein einer Lampe am Ufer, wo die Küste steil zum Meer abfiel, fast nicht bemerkt.
Gelina hatte ein Bootshaus erwähnt. Ein vorstehender Fels und die Wipfel der hohen Bäume verdeckten die Sicht, doch fast direkt unter mir konnte ich, auf diese Entfernung nur winzig klein, den Teil eines Daches und einen ins Wasser ragenden Steg ausmachen. Außerdem sah ich eine winzige Flamme kurz aufflackern, wieder verlöschen und aufs neue aufblitzen. Ich lauschte angespannt, und mir war, als sei jedes Aufscheinen der Lampe mit einem leisen Platschen verbunden, so als würde jemand leise etwas ins Wasser werfen.
Ich sah mich auf der Suche nach einer Treppe um und entdeckte einen breiten Pfad, der von einer Ecke der Terrasse, auf der ich stand, zur Küste
Weitere Kostenlose Bücher