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Die Pforten Des Hades

Die Pforten Des Hades

Titel: Die Pforten Des Hades Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Saylor
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durch die Wälder spuken und in wilde Wölfe fahren. Aber Pluto ruft sie jeden Morgen zurück. Niemand entkommt seinem Reich für längere Zeit.« Sie wandte sich von der grausigen Aussicht ab und sah Eco an, der sie mit aufgerissenen Augen anstarrte.
    »Merkwürdig«, sagte sie, »daran zu denken, daß all das in so unmittelbarer Nachbarschaft der Zivilisation, unweit von Baiae und dem Luxus seiner Villen liegt, nicht wahr? In Gelinas Haus erscheint einem die Welt wie ein Ort, der aus auf dem Wasser tanzendem Sonnenlicht und frischer Salzluft gemacht ist. Dort ist es leicht, die Götter und Lemuren zu vergessen, die unter feuchten Felsen und Schwefelgruben hausen. Den Averner See gab es schon vor den Römern, ja sogar vor den Griechen. Diese Wälder waren auch schon immer hier, genau wie all die dampfenden Fumarolen und blubbernden, stinkenden Gruben um den Golf. Dies ist der Ort, wo die Unterwelt der Welt der Lebenden am nächsten kommt. All die prachtvollen Villen, die den Golf säumen, sind wie eine Maske, eine Scharade, so nichtig wie eine Luftblase; darunter blubbert und brodelt der Schwefel, wie er es schon immer getan hat. Und lange nachdem die hübschen Häuser verfallen und ihre Lichter erloschen sind, wird sich der rülpsende Schlund des Hades noch immer klaffend auftun, um die Schatten der Toten in Empfang zu nehmen.«
    Ich sah sie verwundert an, verwirrt, daß ein so junges und lebenslustiges Wesen solche Worte über die Lippen brachte. Für den Bruchteil einer Sekunde begegneten sich unsere Blicke, und sie lächelte ihr rätselhaftes Lächeln, bevor sie ihr Pferd wendete. »Es ist nicht gut, zu lange auf das Antlitz des Avernus hinabzublicken oder seine Dämpfe einzuatmen.«
    Langsam fiel unser Weg zum Tal hin ab. Schließlich ließen wir den Wald hinter uns und kamen in eine hügelige, von zerklüfteten weißen Felsen zerrissene Graslandschaft. Die Hügel wurden zunehmend windgegerbter und karger, als wir uns dem Meer näherten. Der Nebel lichtete sich und hing in Fetzen über unseren Köpfen. Die Felsen wurden haushoch und waren in die Landschaft gestreut wie die gebrochenen und verwitterten Knochen eines Riesen, bisweilen fantastische Formationen mit zahllosen scharfen Kanten und von gewundenen Gängen und tiefen Löchern zerfressenen Konturen.
    Eine Zeitlang ritten wir durch ein Labyrinth aus Felsen, bis wir zu einer versteckten Niederung kamen, die sich wie die Beuge eines Ellenbogens in den steilen Hügel grub. Der schmale Hohlweg war von Felsbrocken und vom Wind bizarr verbogenen Bäumen gesäumt.
    »Hier verlasse ich euch«, sagte Olympias. »Sucht euch eine Stelle, wo ihr die Pferde anbinden könnt, und wartet. Die Priesterin wird euch abholen.«
    »Aber wo ist der Tempel?«
    »Die Priesterin wird euch zum Tempel führen.«
    »Aber ich dachte, es gäbe einen großen Tempel, der das Heiligtum der Sibylle markiert.«
    Olympias nickte. »Du meinst den Tempel, den Dädalus erbaut hat, als er nach seinem langen Flug an dieser Stelle landete. Dädalus hat ihn zu Ehren Apollos errichtet, ihn mit Tafeln aus gehämmertem Gold verziert und mit einem goldenen Dach gedeckt. So erzählt man es sich im Dorf Cumae. Doch der goldene Tempel ist nur eine Legende, oder die Erde hat ihn schon vor langer Zeit verschluckt. Das geschieht hier von Zeit zu Zeit - die Erde tut sich auf und verschlingt ganze Häuser. Heutzutage befindet sich der Tempel an einer versteckten, felsigen Stelle unweit des Eingangs zur Sibyllinischen Grotte. Keine Sorge, die Priesterin kommt bestimmt. Habt ihr ein symbolisches Geschenk aus Gold oder Silber mitgebracht?«
    »Ich habe ein paar Münzen bei mir, die ich noch in meinem Zimmer hatte.«
    »Das wird reichen. Ich lasse euch jetzt allein.« Sie zerrte ungeduldig an den Zügeln ihres Pferdes.
    »Aber warte! Wie sollen wir dich wiederfinden?«
    »Warum müßt ihr mich überhaupt finden?«
    Ihre Stimme hatte einen unangenehm scharfen Beiklang bekommen. »Ich habe euch, wie gebeten, hierhergebracht. Könnt ihr den Weg zurück nicht alleine finden?«
    Ich blickte auf das Felslabyrinth. Der fallende Nebel kräuselte sich über unseren Köpfen, und ein schwacher Wind ächzte und stöhnte zwischen den Steinen. Ich zuckte unsicher die Schultern.
    »Also gut«, sagte sie, »wenn die Sibylle mit euch fertig ist, reitet weiter, bis ihr ans Meer kommt. Es ist nicht weit. Wenn ihr dann den Kamm eines grasbewachsenen Hügels überquert, stoßt ihr auf das Dorf Cumae. Iaias Haus liegt am anderen Ende

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