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Die Pforten Des Hades

Die Pforten Des Hades

Titel: Die Pforten Des Hades Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Saylor
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dichter. Auch die Bäume veränderten ihren Charakter. Ihre Blätter waren nicht länger grün, sondern fast schwarz; überall ragten hohe Stämme in den Himmel, verzweigte Aste schluckten das Licht, das Unterholz wurde dichter, dorniges Gestrüpp und herabhängende moosige Flechten versperrten den Weg. Am Boden sprießten Pilze. Der Ziegenpfad löste sich in nichts auf, und es kam mir so vor, als würde sich Olympias nun von ihrem Instinkt geleitet weiterbewegen. Eine schwere Stille legte sich über uns, unterbrochen nur vom Getrappel der Pferde und dem entfernten Kreischen eines fremden Vogels.
    »Reitest du diesen Weg immer alleine?« fragte ich. »Ich hätte vermutet, daß du dich an einem solch einsamen Ort nicht sicher fühlen könntest.«
    »Wer sollte mir in diesen Wäldern schon etwas tun? Banditen, Räuber, entlaufene Sklaven?« Olympias blickte stur geradeaus, so daß ich ihr Gesicht nicht sehen konnte. »Diese Wälder sind der Göttin Diana geweiht; sie gehören ihr schon seit Tausenden von Jahren, lange bevor die Griechen kamen. Diana tragt einen großen Bogen, mit dem sie ihre Landereien bewacht. Wenn sie anlegt, kann kein schlagendes Herz ihrem Pfeil entgehen. Ich habe nicht mehr Angst, als ich haben müßte, wäre ich eine Hirschkuh oder ein Habicht. Nur wer diesen Wald mit bösen Absichten betritt, muß Gefahr fürchten. Gesetzlose wissen das tief in ihrem Herzen und meiden ihn. Empfindest du Furcht, Gordianus?«
    Eine Wolke verdunkelte die Sonne, und eine graue Kühle legte sich über den Wald. Eine seltsame Vision packte mich: Es herrschte Nacht, die verdunkelte Sonne war dem Mond gewichen, Dunkelheit breitete sich aus den hohlen Stammen der absterbenden Bäume und den tiefen Schatten unter den herabgefallenen Zweigen aus. Man hörte nichts außer dem Trappeln der Pferde, und selbst das klang gedämpft, als ob die feuchte Erde das Geräusch jeden Schrittes aufsaugen würde. Eine seltsame Benommenheit übermannte mich, nicht als ob ich einschlafen würde, sondern wie beim Betreten einer Welt, in der ich meiner Wahrnehmung nicht wie gewohnt trauen konnte.
    »Empfindest du Furcht, Gordianus?«
    Ich starrte auf ihren Kopf, ihr weiches wallendes goldenes Haar, und hatte eine eigenartige Fantasie - ich dachte, daß ich, wenn sie sich jetzt zu mir umdrehen würde, nicht ihr eigenes anmutiges Gesicht erblicken würde, sondern eine Fratze, die zu grausam war, sie anzusehen, eine grimmige, grinsende Maske mit grausamen Augen, das Antlitz einer wütenden Göttin. »Nein, ich empfinde keine Furcht«, flüsterte ich heiser.
    »Gut. Dann hast du auch das Recht, hier zu sein, und du bist sicher.« Sie drehte sich um, und es war nur das harmlose, lächelnde Gesicht Olympias, das mich ansah. Ich seufzte erleichtert.
    Der Wald wurde noch dunkler. Ein dichter Nebel legte sich schwer über die Natur. Der Geruch des Meeres vermischte sich mit dem Modergestank verrottender Blätter und verfaulender Rinde. Dann schlug uns ein weiterer Geruch entgegen, der Gestank dampfenden Schwefels.
    Olympias wies auf eine Lichtung zu unserer Rechten. Wir kamen auf einen kahlen Felsvorsprung. Über uns hingen die zerklüfteten Ränder einer Nebelbank, die vom Meer her landeinwärts wallte. Unter uns klaffte ein tiefer Abgrund. Dämpfe kräuselten sich wie in einem riesigen, von dunklen, brütenden Bäumen gesäumten Kessel, so daß ich den Grund des aufgewühlten, brodelnden und spuckenden Sumpfes nicht erkennen konnte.
    »Der Schlund des Hades«, flüsterte ich.
    Olympias nickte. »Es gibt Menschen, die glauben, daß Pluto Proserpina an dieser Stelle in die Unterwelt gezogen hat. Unter diesem Becken aus brodelndem schwefligen Schlamm, tief in den ruhelosen Gedärmen der Erde sollen angeblich eine Reihe unterirdischer Flüsse fließen, die das Reich der Lebenden von dem der Toten trennen. Es gibt Acheron, den Fluß des Jammers, und Cocytus, den Fluß der Klagen. Es gibt Phlegethon, den Fluß des Feuers, und Lethe, den Fluß des Vergessens. Gemeinsam münden sie in den breiten Strom des Styx, über den der Fährmann Charon die Seelen der Toten ins trostlose Ödland des Tartarus bringt. Man sagt, daß Plutos Wachhund Gerberus seine Fesseln hin und wieder abstreift und in die Oberwelt flieht. Ich habe einmal mit einem Bauern in Cumae gesprochen, der das Untier im Averner Wald gehört hat, alle drei Köpfe haben gemeinsam den Mond angeheult. In anderen Nächten fliehen die gefürchteten Lemuren aus dem Averner See, bösartige Geister, die

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