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Die Pforten Des Hades

Die Pforten Des Hades

Titel: Die Pforten Des Hades Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Saylor
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aus den Abgründen des Hades.
    »Komm zurück, junger Mann! Das Mädchen ist sicher. Ihr hingegen seid Eindringlinge hier und in permanenter Gefahr, bis der Gott euer bares Antlitz gesehen und entschieden hat, ob er euch mit einem Blitzschlag niederstrecken oder eure Ohren für die Stimme der Sibylle öffnen soll. Nehmt euren Mut zusammen, alle beide, und folgt mir. Sofort!«
    ZWÖLF
    Vor sehr langer Zeit gab es einen römischen König namens Tarquinius der Stolze. Eines Tages kam eine Zauberin aus ihrer Grotte bei Cumae nach Rom und bot Tarquinius neun Bücher okkulten Wissens an. Die Bücher waren aus Palmenblättern gemacht und nicht in Schriftrollen gebunden, so daß man die Seiten in beliebiger Reihenfolge ordnen konnte. Das fand Tarquinius äußerst befremdlich. Außerdem waren sie in griechischer und nicht in lateinischer Sprache abgefaßt, obwohl die Zauberin behauptete, daß diese Bücher die gesamte Zukunft Roms vorhersagen würden. Diejenigen, die sie studierten, sagte sie, würden all die seltsamen Phänomene verstehen lernen, mittels derer die Götter ihren Willen auf Erden kundtun, wie etwa, wenn man im Winter Gänse nach Norden fliegen oder Wasser in Flammen aufgehen sieht oder die Hähne zu Mittag krähen hört.
    Tarquinius erwog ihr Angebot, doch die Summe in Gold, die sie verlangte, erschien ihm zu hoch. Er schickte sie fort und entgegnete ihr, daß König Numa vor einhundert Jahren die Priesterschaften, Kulte und Rituale der Römer festgelegt habe und daß diese Institutionen bisher völlig ausgereicht hätten, den Willen der Götter zu erkennen.
    In derselben Nacht sah man drei Feuerbälle am Horizont glühen. Die Menschen waren beunruhigt. Tarquinius wandte sich wegen einer Deutung an die Priester, doch zu ihrem großen Kummer konnten sie keine Erklärung für das Phänomen finden.
    Am nächsten Tag suchte die Zauberin Tarquinius erneut auf und bot sechs Bücher des Wissens zum Kaufan. Sie verlangte denselben Preis, den sie am Vortag für neun Bücher gefordert hatte. Tarquinius wollte wissen, was aus den anderen drei Bänden geworden war, und die Hexe erklärte, sie hätte sie in der Nacht verbrannt. Beleidigt, daß die Zauberin für sechs Bücher begehrte, was er für neun Bücher nicht zu zahlen bereit gewesen war, schickte Tarquinius sie wieder fort.
    In jener Nacht stiegen drei verschlungene Rauchsäulen am Horizont auf, vom Wind verweht und vom Mond beleuchtet, so daß sie bizarre und bedrohliche Formen annahmen. Wieder war das Volk alarmiert und glaubte, daß es sich um das Omen eines zornigen Gottes handeln müsse. Tarquinius rief seine Priester zu sich, doch sie waren erneut ratlos.
    Am nächsten Tag kam die Zauberin abermals zum König. Sie sagte, sie hätte in der vergangenen Nacht weitere drei Bücher verbrannt, und bot ihm die verbliebenen drei zu dem Preis an, der ursprünglich für alle neun gegolten hatte.
    So kam es, daß die Sibyllinischen Bücher nur als Fragment erhalten blieben, aus welchem sich die Zukunft nur unvollkommen vorhersagen ließ, und auch die Deutung der Auspizien und Augurien war nicht immer exakt. Tarquinius wurde für den Erwerb dieser heiligen Texte verehrt, obwohl man ihn gleichzeitig tadelte, sie nicht komplett gesichert zu haben. Die Sibylle von Cumae indes erlangte ob ihrer Weisheit legendären Ruf. Man respektierte sie sowohl als große Zauberin als auch als gerissene Händlerin, die für drei Bücher den Preis von neun bekommen hatte.
    Die Sibyllinischen Bücher wurden Objekte ehrfürchtigster Bewunderung. Sie überdauerten die Könige Roms und wurden das heiligste Gut des römischen Volkes. Der Senat entschied, daß sie in einer Steintruhe unter dem Tempel des Jupiter auf dem Kapitol oberhalb des Forums verwahrt werden sollten. Nur in Zeiten großer Not oder bei Auftauchen unerklärlicher Omen wurden die Bücher konsultiert. Die Priester, deren besondere Aufgabe es war, sie zu studieren, wurden unter Androhung der Todesstrafe verpflichtet, über ihren Inhalt Stillschweigen zu wahren, selbst gegenüber dem Senat. Eine Eigentümlichkeit der Verse wurde jedoch trotzdem allgemein bekannt. Sie waren als Akrosticha abgefaßt: Zusammengenommen ergaben die ersten Buchstaben jeder Zeile das Thema des jeweiligen Verses. Derartige Kunstfertigkeit im Umgang mit Worten hätte jeden normal Sterblichen zur Verzweiflung getrieben, doch für den göttlichen Willen muß es ein Kinderspiel gewesen sein.
    Weil die Bücher so geheimnisvoll blieben, wußten nur sehr wenige

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