Die Pforten des Todes - Historischer Kriminalroman
man genötigt hat, für einen verletzten Ruderer im Boot von Fidelmas Entführern auszuhelfen. Ich vermute, man hat ihn umgebracht, um zu verhindern, dass er etwas über die Entführer verrät.«
»Könnte sein, dass wir dich rascher in einen Zwiespalt bringen, als du denkst«, bemerkte Gormán trocken.
»Die Lagerschuppen wurden den letzten Sommer über nicht benutzt«, sagte Gobán, ohne auf Gormáns Worte einzugehen. »Wenn man Lady Fidelma entführt hat, warum hat man sie dann dort zum Sterben liegen lassen? Das ist doch genau das Gegenteil von dem, was man mit einer Entführung erreichen will.«
»Das ist nicht das einzige Rätsel, das es zu klären gilt«, erwiderte Eadulf. »Hast du schon mal von einem jungen Dichter namens Torna gehört?«
»Der einzige Torna, den ich kenne, ist der berühmte Torna Eigeas, der Barde von Níall von den neun Geiseln. Er lebte vor vielen Jahrhunderten.«
»Der junge Mann, den wir meinen, behauptete, ein Barde desselben Namens zu sein.«
Gobán schüttelte den Kopf. »Ich habe nie von einem anderen Mann mit diesem Namen gehört.«
»Der Torna, den wir meinen, hat gestern mit Gewissheit noch gelebt. Vielleicht war er es sogar, den man entführen wollte, und Fidelma hat sich eingemischt und versucht, das zu verhindern, und ist dann mit ihm gemeinsam Opfer der Entführung geworden.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Wir sehen da selbst kaum durch«, gab Eadulf verstimmt zu. »Aber kommen wir noch mal auf die Lagerhäuser zurück. Wofür nutzt sie Lady Gelgéis eigentlich?«
»Habe ich ja schon gesagt, sie stehen dieser Tage meist leer. Nur wenn von den in der Umgebung siedelnden Clans, die Prinzessin Gelgéis als Oberhoheit anerkennen, viele Abgaben auf einmal geliefert werden, lagert man sie dort ein. Und man braucht die Häuser auch, wenn die Ernte besonders reich war.«
»Dann könnte jemand gewusst haben, dass sie zur Zeit ungenutzt sind?«
Gobán zögerte mit einer Antwort, was Gormán zu einer weiteren Frage veranlasste. »Dir geht sicher gerade durch den Kopf, dass die Gebäude von den Anlegestellen aus gut zu sehen sind. Hätte man am Tage versucht, dort einzudringen, wäre das aufgefallen, und Prinzessin Gelgéis hätte davon erfahren.« Doch Gobán blickte nur verstört drein und wusste dazu nichts zu sagen.
»Kennst du einen Leprakranken, der an den Anlegeplätzen bettelt?«, wechselte Eadulf unversehens das Thema.
»Meinst du den Alten, der kaum seine Beine benutzen kann?«, fragte Gobán. Als Eadulf nickte, sagte er: »Das ist Leathlobhair , jedenfalls nennen wir ihn so.«
»Der Halb-Leprakranke?«, übersetzte Eadulf wörtlich.
»Genau. Der bettelt unten am Hafen, seit ich denken kann. Soviel ich weiß, hat er eine Hütte in dem erbärmlichen Tal da hinten westlich vom Ort. Wieso fragst du nach ihm?«
»Weil er gesehen hat, wie Fidelma vom Fluss aus in das Lagerhaus geschleppt wurde und uns darauf aufmerksam gemacht hat.«
Der Schmied grinste zynisch. »Und was habt ihr ihm dafür geboten?«
»Etwas zu essen.«
»Kann ich mir denken. Für nichts und wieder nichtswürde er nie etwas preisgeben. Wiederum würde er auch nie lügen. Also mit seiner Hilfe habt ihr Lady Fidelma gefunden?«
»Stimmt.«
»Hat Leathlobhair auch gesehen, wohin die Männer, die sie dorthin verschleppt haben, hinterher verschwunden sind?«
»Er sagt, sie seien wieder ins Boot gestiegen und hätten sich von der Strömung in Richtung Süden treiben lassen.«
Nachdenklich wiegte der Schmied den Kopf hin und her. »Das heißt, sie haben der Ansiedlung hier und der Burg den Rücken gekehrt. Damit ist klar, dass sie nicht aus Durlus stammen oder im Auftrag von Gelgéis gehandelt haben, sonst wären sie in den Ort oder hinauf zur Burg gegangen.«
»Für mich ist vorläufig überhaupt nichts klar.« Eadulf seufzte. »Wir müssen warten, bis Fidelma wieder zu sich kommt, vielleicht kann sie uns weiterhelfen.«
Er stand auf und ging zu Fidelma hinüber. Sie atmete ruhig und tief und schien zu schlafen.
»Gut so«, flüsterte er zufrieden. »Schlaf ist die beste Medizin.«
In der Hütte gab es nur eine Bettstatt, doch der Schmied hatte Schafsfelle, die gute Matratzen abgaben, und die er vor dem Feuer ausbreitete. Eadulf und Gormán machten sich lang, nahmen zum Zudecken ihre wollenen Umhänge und versuchten zu schlafen. Es kam Eadulf wie eine Ewigkeit vor, bis er Ruhe fand. Lange hörte er das Schnarchen des Schmiedes und das tiefe Atmen von Gormán, ehe auch ihn der Schlaf
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