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Die Philosophen der Rundwelt

Die Philosophen der Rundwelt

Titel: Die Philosophen der Rundwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Intelligenz und den kollektiven sozialen Zusammenhalt. Lügen zu lernen war für die Menschheit ein großer Schritt voran.
    Wir können uns relativ glaubwürdig in andere Menschen hineinversetzen, weil wir selbst Menschen sind. Zumindest wissen wir, wie es ist, ein Mensch zu sein. Doch selbst dann täuschen wir uns wahrscheinlich, wenn wir exakt zu wissen glauben, was im Geist eines anderen vor sich geht, geschweige denn, wie er es empfindet. Jeder menschliche Geist ist anders verschaltet und ist das Ergebnis der Erfahrungen seines Besitzers. Noch viel problematischer ist es, ob wir uns vorstellen können, wie es ist, ein Tier zu sein. Auf der Scheibenwelt kann eine fähige Hexe sich in den Geist eines Tieres versetzen, wie wir zum Beispiel an folgender Passage aus Lords und Ladies sehen:
    Sie borgte, und dabei musste man sehr vorsichtig sein. Es konnte wie eine Droge wirken. Auf den Selbstsphären von Tieren zu reiten, mit den Vögeln zu fliegen – aber nicht mit Bienen –, sie vorsichtig zu steuern, durch ihre Augen zu sehen …
    Zum Beispiel mit denen von Mücken. Das langsame Muster der Zeit im schnellen eines Tages zu beobachten, wie Blitze hin und her zuckende Gedanken zu ertasten …
    … mit dem Körper eines Käfers zu lauschen, die Welt als dreidimensionales Muster aus Vibrationen wahrzunehmen …
    … mit der Nase eines Hundes zu sehen, zahlreiche Gerüche wie Farben …
    Das ist ein poetisches Bild. »Sieht« ein Hund Gerüche? Es ist ein Volksglaube, dass für einen Hund Riechen viel wichtiger als Sehen sei, doch das könnte eine Übertreibung aufgrund der viel glaubhafteren Beobachtung sein, dass der Geruch für Hunde viel wichtiger als für Menschen ist. Selbst hier müssen wir »zumindest bewusst« hinzufügen, denn im Unterbewusstsein reagieren wir auf Pheromone und andere emotional befrachtete Chemikalien. Vor etlichen Jahren arbeitete David Berliner an den Chemikalien der menschlichen Haut und ließ einen offenen Becher auf dem Labortisch stehen, der gewisse Hautextrakte enthielt. Dann bemerkte er, dass seine Laboranten deutlich lebhafter als üblich wurden, kumpelhafter und leichten Flirts zugeneigt. Er fror den Extrakt ein und stellte ihn zur Aufbewahrung in den Labor-Kühlschrank. Dreißig Jahre später analysierte er die Substanzen im Becher und fand eine Chemikalie namens Androstenon, die einem Sexhormon ziemlich ähnlich ist. Eine Reihe von Experimenten zeigte, dass diese Chemikalie für das lebhafte Verhalten verantwortlich war. Androstenon hat jedoch keinen Geruch. Was war geschehen?
    Manche Tiere besitzen ein »Vomeronasalorgan« (oft »zweite Nase« genannt). Dies ist ein kleines Gebiet im Nasengewebe, welche bestimmte Chemikalien feststellt, doch vom normalen Geruchssystem getrennt ist. Es galt seit langem als gesichertes Wissen, dass Menschen kein Vomeronasalorgan besitzen, doch das seltsame Verhalten seiner Laboranten gab dem Wissenschaftler zu denken. Berliner entdeckte, dass das »gesicherte« Wissen falsch war: Zumindest manche Menschen besitzen ein Vomeronasalorgan, und es reagiert auf Pheromone. Das sind spezielle Chemikalien, die bei Tieren starke Reaktionen wie Angst oder sexuelle Erregung auslösen. Die Besitzer der Vomeronasalorgane sind sich nicht bewusst, dass sie etwas wahrnehmen, doch sie reagieren – und wie!
    Diese Geschichte zeigt, wie leicht wir Sinneseindrücke missverstehen können. In diesem Falle wissen Sie, wie es vomeronasal riecht, ein Mensch zu sein: Sie empfinden überhaupt nichts, jedenfalls nicht bewusst. Aber Sie reagieren durchaus! Also sind Ihre Reaktionen und »wie sie sich anfühlen« etwas ganz Verschiedenes. Die Geräusche, die wir hören, die Empfindung von Wärme und Kälte auf der Haut, die Gerüche, die auf unsere Nase einstürmen, der unverwechselbare Geschmack von Salz … All das sind Qualia, lebhafte »Gefühle«, die unser Geist unseren Wahrnehmungen aufpfropft, damit wir sie schneller erkennen. Sie haben eine Grundlage in der Wirklichkeit, ja, doch sie sind nicht wirklich Eigenschaften der Außenwelt. Sie müssen wirkliche Eigenschaften der Architektur und Funktion des Gehirns sein, wirkliche Dinge, die wirklichen Nervenzellen widerfahren, doch das ist eine ganz andere Ebene der Realität als die, die wir wahrnehmen.
    Wir sollten also dem Glauben misstrauen, wir könnten wissen, wie man sich als Hund fühlt. 1974 veröffentlichte der Philosoph Thomas Nigel in der Philosophical Review den berühmten Essay »Wie ist es, eine Fledermaus

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