Die Philosophen der Rundwelt
Elefant hat einen langen Rüssel entwickelt, damit er Wasser hochsaugen kann, ohne sich niederbeugen zu müssen.« Damit wird den Elefanten eine evolutionäre Voraussicht zugeschrieben und (fälschlich) angenommen, sie könnten irgendwie wählen, in welche Richtung sie sich entwickeln. Das alles ist offensichtlich Unsinn, es hat also keinen Sinn, eine Theorie zu haben, die der Evolution der Elefanten einen Zweck zuschreibt.
Leider sieht eine Dynamik einem Zweck bemerkenswert ähnlich. Wenn die Evolution der Elefanten einer Dynamik folgt, sieht es so aus, als wäre das Endergebnis vorherbestimmt, und dann »weiß« das System im Voraus, was es tun soll. Den einzelnen Elefanten braucht ihr Ziel nicht bewusst zu sein, wohl aber in gewissem Sinne dem System . Das wäre ein gutes Argument gegen eine dynamische Beschreibung, wenn die Evolutionsdynamik für Elefanten sich im Voraus feststellen ließe. Wenn jedoch diese Dynamik emergent ist, dann kann das System selbst mitsamt den Elefanten nur feststellen, wohin es unterwegs ist, indem es sich dorthin begibt und entdeckt, wohin es gelangt.
Dasselbe gilt für die Geschichte. Dass wir einer historischen Periode erst einen Namen geben können, nachdem sie sich ereignet hat, sieht auffallend nach dem aus, was man beobachten würde, wenn es eine historische Dynamik gäbe, sie aber emergent wäre.
An diesem Punkt der Diskussion könnte es den Anschein haben, dass eine emergente Dynamik nicht besser ist als überhaupt keine. Unsere Aufgabe ist jetzt, Sie zu überzeugen, dass dem nicht so ist. Der Grund ist, dass eine emergente Dynamik zwar nicht in allen logischen Einzelheiten aus den Regeln der Wesenheiten-Ebene abgeleitet werden kann, aber trotzdem eine Dynamik ist . Sie hat ihre eigenen Muster und Regelmäßigkeiten, und möglicherweise kann man direkt mit diesen operieren.
Genau das geschieht, wenn ein Historiker etwas in der Art sagt wie: »Krösus der Unvorbereitete war ein reicher, aber schwacher König, der nie ein hinreichend großes Heer unterhielt. Daher war es unvermeidlich, dass sein Reich von den benachbarten Piktogothen überrannt und seine Schatzkammer geplündert wurde.« Diese Art Geschichte setzt eine Regel auf Systemebene voraus, ein historisches Muster, welches manchmal einleuchtend sein kann. Wir können in Frage stellen, wie wissenschaftlich derlei Geschichten sind, denn hinterher ist man immer klüger. Doch in diesem Fall verallgemeinert die Geschichte: Reiche, schwache Könige fordern Überfälle gemeiner, armer Barbaren heraus. Und das ist eine Vorhersage, Wissen vor dem Ereignis, und als solche wissenschaftlicher Überprüfung zugänglich.* [* Die Scheibenwelt regelt das viel vernünftiger. Helden kriegen Abenteuer.]
Die Geschichten, die Evolutionsbiologen erzählen, sind von derselben Art, und Wissenschaft wird daraus, wenn sie nicht mehr Genau-so-Geschichten sind, Rechtfertigungen im Nachhinein, und allgemeine Prinzipien werden, die Vorhersagen treffen. Diese Vorhersagen sind von eingeschränkter Art: »Unter diesen Umständen ist dieses Verhalten zu erwarten.« Es sind keine Vorhersagen von der Art: »Am Dienstag 19.43 Uhr wird sich der erste Elefantenrüssel entwickeln.« Doch eben das bedeutet »Vorhersage« in der Wissenschaft: im Voraus zu sagen, dass unter bestimmten Bedingungen bestimmte Dinge geschehen werden. Den zeitlichen Ablauf des Experiments braucht man nicht vorherzusagen.
Ein Evolutionsbeispiel für diese Art Muster findet man in der Co-Evolution der »Creodonten«, von Großkatzen wie den Säbelzahntigern, und ihrer Beute, den »Titanotherien« – großen Huftieren, oft mit gewaltigen Hörnern. Wenn es darum geht, die Leistung von Großkatzen zu verbessern, ist der Weg des geringsten Widerstandes, größere Zähne zu entwickeln. Angesichts dessen ist es die beste Reaktion der Beute, dickere Haut und größere Hörner zu entwickeln. Ein evolutionäres Wettrüsten wird nun ziemlich unvermeidlich: Die Katzen bekommen immer größere Zähne, und die Beute reagiert mit immer dickerer Haut …, worauf die Katzen nur mit noch größeren Zähnen reagieren können … und so weiter. Es beginnt ein evolutionäres Wettrüsten, bei dem beide Arten in einer einzigen Strategie gefangen sind. Am Ende werden die Zähne der Katzen so riesig, dass die armen Tiere kaum noch den Kopf bewegen können, während die Haut der Titanotherien und die diversen Hörner auf Nase und Stirn mitsamt der zugehörigen Muskulatur so schwer werden, dass sie
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