Die Phoenix-Chroniken: Asche (German Edition)
nicht länger zurückhalten. „Wir werden siegen, und das wissen Sie auch.“
„Ach ja?“ Seine Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln, und andeutungsweise sah ich die Reißzähne.
„Haben Sie kürzlich mal in der Bibel gelesen?“ Ich zog die Brauen in die Höhe. „Oh, ich vergaß. Wahrscheinlich bekommen Sie Grillhändchen, wenn Sie eine Bibel berühren. Aber ich lasse Ihnen gerne mal eine Zusammenfassung zukommen: Am Ende gewinnt das Gute. Immer.“
„Und daran glauben Sie wirklich? Welchen Sinn hat denn eine Schlacht, wenn der Sieger schon vorher feststeht?“ Er zuckte kurz mit der Schulter. „Selbst wenn ich eines Tages verlieren sollte, je länger ich Zeit habe zu gewinnen, desto länger bleibe ich dem brennenden Feuersee fern, von dem mir schon so viel berichtet wurde. Erwarten Sie also nicht von mir, dass ich einfach aufgebe.“
„Ich auch nicht“, murmelte ich.
Er lachte wieder. „Wunderbar. Eine Frau mit Biss, wie ich das liebe, und nicht nur zum Frühstück.“ Nachdenklich musterte er mich. Ich konnte seinen Blick nicht ganz deuten, aber es schien so etwas wie Bewunderung darin zu liegen. „Ich möchte Ihnen ein Angebot unterbreiten: Wollen Sie sich mir anschließen?“
Ich schnaubte bloß wütend. „So leicht bin ich nicht zu haben.“
„Nein?“ Auf seinem Gesicht wurde ein grausamer Zug sichtbar. „Mein Sohn berichtete mir das Gegenteil. So leicht wie Sie habe er noch keine bekommen.“
Ich war schockiert, sowohl über die Enthüllung an sich als auch über die abfällige Art, mit der er eine meiner schönsten Erinnerungen zerstörte.
Mit großen Augen sah mich der Hexenmeister an. „Haben wir da jemanden verletzt? Was tut denn weh? Die leichtfertig aufgegebene Unschuld oder dass Ihre große Liebe ein Verräter ist?“
Bloß weil er Jimmys Vater war – wenn das überhaupt stimmte, bislang hatte ich es nur aus dem Mund des Nephilim gehört, alles andere konnte genauso gut Zufall gewesen sein –, musste Jimmy noch lange nicht auf seiner Seite sein. Warum auch? Dieser Mann war schuld daran, dass man Jimmy benutzt und missbraucht hatte.
Und wenn man das Blut, die Ketten und frischen Narben betrachtete, so schien der Meister auf dieser Ebene wieder anknüpfen zu wollen. Selbst wenn Jimmy von allen guten Geistern verlassen war und seinem verloren geglaubten Vater ewige Treue geschworen hatte, konnte ich mir nicht denken, dass der Schwur diese Folter überdauert hatte.
Zugegeben, es sind schon seltsamere Dinge passiert.
„Sagen Sie, was Sie wollen“, antwortete ich. „Nichts wird mich davon abbringen, ihn mitzunehmen.“
„Ihn mitnehmen? Wohin glauben Sie denn noch gehen zu können?“
„Vielleicht machen wir Urlaub, nachdem wir Sie getötet haben.“
Der Meister ließ wieder sein Lachen ertönen. Ich verabscheute den Klang.
„Sein ganzes Leben lang hat er sich gefragt, wer ich wohl bin. Meinen Sie, jetzt, da er mich endlich gefunden hat, wird er mich umbringen?“
„Wie hat er Sie denn gefunden?“
Wieder zog er die Schulter hoch. „Ich habe mich finden lassen.“
„Sie wussten, dass er nach New York kommen würde, sobald er von dem Tod des Sehers erfahren hatte“, vermutete ich.
Ein leichtes Zucken um die Mundwinkel war die einzige Reaktion darauf.
Ich konnte mir gut vorstellen, was als Nächstes passiert war. Jimmy tat, was er am besten konnte: Vampire aufspüren. Und dieser Vampir hatte es ihm leicht gemacht. Jimmy war genauso leicht in die Falle getappt wie ich.
Der Meister bewegte sich derartig schnell, dass ich nur einen verschwommenen Fleck auf mich zurasen sah. Vor Schreck stieß ich einen lauten Schrei aus. Da war er schon an mir vorbei.
Ich drehte mich um. Im grellen Neonlicht glänzte das Messer golden, das er an Jimmys Kehle hielt. Wenn er nun tatsächlich die Wahrheit gesagt hatte, wenn Jimmy ihn nicht getötet hatte, als die Möglichkeit bestand, wenn er tatsächlich die Seite gewechselt hatte, ja, dann sollte ich diesen mittelalterlichen Vampir-Hexer vielleicht gewähren lassen. Aber es gab immer noch die Möglichkeit, dass der Nephilim gelogen hatte.
Sehr wahrscheinlich sogar.
„Sie wollen mir nicht glauben, dass er jetzt zu uns gehört?“, fragte der Meister. „Sie glauben, wenn Sie nur einen Moment mit ihm alleine sind, wird er sich schon besinnen. Liebe Miss Phoenix, so funktioniert das Leben nicht. Das sollten Sie eigentlich am besten wissen.“
Nichts hasste ich mehr, als wenn böse Vampir-Hexer recht hatten.
„In
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