Die Phoenix-Chroniken: Asche (German Edition)
Bögen ihrer Augenbrauen zogen sich noch weiter in die Höhe. „Wovor?“
„Jimmy gehört jetzt zu der dunklen Seite. Ich glaube…“ Ich holte tief Luft, ließ die Luft wieder hinaus und schluckte schwer. „Ich glaube, ich werde ihn töten müssen.“
„Kann sein.“ Ruthie nahm einen Schluck Tee. „Kann sein.“
„Ich soll ihn also umbringen?“ Bei dem Wort umbringen brach mir die Stimme. Wer sollte mir das verdenken?
„Nein, mein Kind, du sollst ihn retten. Du bist die Einzige, die das kann.“
„Sawyer hat behauptet, du hättest dich auch retten können. Du hättest gewusst, dass die Nephilim hinter dir her waren.“
Ruthie nahm einen weiteren Schluck Tee. „Und?“
„Warum hast du es dann zugelassen?“
„Der Tod war meine Bestimmung.“
„Der Tod ist jedermanns Bestimmung,“ sagte ich ungeduldig. „Ich brauche dich.“
„Du hast mich doch. So ist es viel besser, du wirst schon sehen.“
Ich seufzte. Ob ich jetzt besser oder schlechter dran war, spielte eigentlich keine Rolle. Ruthie war tot, und ich saß mit Jimmy, dem Verräter, in der Falle. Was sollte ich bloß machen?
„Denk daran, worum es in dieser Schlacht geht. Was ist das Wichtigste?“, murmelte Ruthie, als hätte ich meine Frage laut ausgesprochen. Hatte ich vielleicht sogar.
„Mach sie kalt, bevor sie dich kaltmachen?“ Hörte sich doch nach einer vernünftigen Verhaltensmaßregel an.
Zunächst einmal sagte Ruthie gar nichts. Sie ließ sich Zeit, und ich wusste, dass sie in Gedanken langsam bis zehn zählte. Früher hatte sie das oft gemacht. Und zweifellos würde sie es in Zukunft noch häufiger tun müssen. Wenn es eine Zukunft gab.
„Denk immer daran, Lizbeth, dass die Liebe stärker ist als der Hass. Das ist das Wichtigste.“ Schon wollte ich den Mund aufmachen, doch sie gebot mir mit erhobenem Finger zu schweigen. „Du hast Jimmy einmal geliebt, und du liebst ihn immer noch. Darin steckt mehr Kraft, als du denkst, Liebe ist mächtig.“
„Jimmy gibt es nicht mehr.“
„Doch, es gibt ihn noch, er hat sich nur verirrt. Suche ihn!“
„Wie?“
„Wenn es so weit ist, wirst du es schon wissen.“
Und damit war sie verschwunden, und ich war wieder in dem Penthouse, aber nicht mehr alleine. Das verriet mir ein Duft, den ich besser kannte als alles andere.
Ich inhalierte tief. Zimt und Seife. Wie immer. Wie konnte das bloß angehen?
Jemand hatte das Licht gelöscht, und die einzige Lichtquelle war der Widerschein der Stadt unter uns. Er glitt aus dem Schatten, sein Haar nass und straff nach hinten gekämmt. Von all den blutigen Vorgängen war nichts mehr zu sehen, lediglich ein paar dünne weiße Striche waren noch auf seiner Brust zu erkennen. Die weite schwarze Hose hing so tief, dass sie Gefahr lief, jeden Moment herunterzurutschen. Knapp über dem Hosenbund sprangen seine Hüftknochen hervor. Er wirkte jetzt noch dünner als beim letzten Mal. Wahrscheinlich lag das an seiner ausschließlich flüssigen Ernährung.
Wie lange er wohl schon hier war? Höchstens ein paar Tage. Eigentlich hatte er schon seit Ruthies Tod nicht mehr auf sich geachtet und kaum noch gegessen.
In einem anderen Leben, in einer anderen Welt, mit einer anderen Lizzy würde ich mich wohl genötigt sehen, ihn zu verköstigen. In diesem Leben war leider ich die Kost.
Bei dieser Doppeldeutigkeit zuckte ich zusammen – bloß schnell aus dem Kopf streichen. Panik würde mich in diesem Moment nicht weiterbringen.
Ich weiß gar nicht, wann ich auf die Beine gekommen war, aber ich stand. Gut. Denn ich wollte nur ungern auf dem Sofa liegen, während Jimmy sich mir immer mehr näherte. Nicht genug, dass ich in diesem Zimmer eingepfercht war und in der schlimmsten Lage überhaupt steckte.
Er bewegte sich so schnell, dass ich sein Näherkommen gar nicht gespürt hatte, bis er so dicht vor mir stand, dass sich unsere Körper berührten und unsere Gesichter dicht voreinander waren. Gegen meinen Willen machte ich einen Schritt zurück. Dabei trat ich gegen das Sofa und wäre beinahe gefallen.
Er packte mich am Arm, und nun war es mehr als ein bloßes Berühren unserer Körper, wir klebten aneinander wie ein Liebespaar.
Ich sah ihn an. Er lächelte. Im Zwielicht sah er einen kurzen Moment lang aus wie der Jimmy aus meinen Träumen. Dann neigte er den Kopf, und das eigenartige rote Flackern seiner Pupillen war wieder zu sehen.
„Lass mich los.“
Er reagierte nicht im Mindesten auf meine Worte, sondern starrte mir nur unentwegt in die
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