Die Phoenix-Chroniken: Asche (German Edition)
Warmblütler keine Chance hätten. Das Rasseln unseres Schwanzes genügt, um alle Lebewesen in die Flucht zu schlagen.“
Mich überkam eine Gänsehaut, als er „wir“ sagte; andererseits gefiel es mir aber auch. Irgendwie fühlte ich mich mit ihm verbunden. Wir waren einzigartig auf der Welt.
Ich schüttelte die Vorstellung ab. Diese Art von Verbindung wollte ich nicht.
„Besteht die Möglichkeit, die Fähigkeiten wieder loszuwerden?“
„Alle auf einmal?“ Sawyer setzte sich neben mich. „Du willst die Kräfte nicht, mit denen du auf die Welt gekommen bist?“
„Ich wollte sie noch nie.“
„Lass mich raten. Du wärst gerne normal?“ Ich nickte. Er seufzte tief. „Das bist du nicht. Wir sind es nicht.“
„Aber könnte ich es nicht sein?“
„Es gibt da so etwas wie Schicksal. Du bist nicht rein zufällig so erschaffen worden. Es ist deine Bestimmung, so zu sein, wie du bist.“
„Und wenn ich das nicht will?“
„Hast du schon einmal darüber nachgedacht, dass, wenn du dich gegen dein Schicksal auflehnst, wenn du eine normale Frau würdest, die du angeblich so gerne wärest, die normale Welt, die du dir wünschst, nicht länger existierte?“
Das war es also.
Verdammt. Die Schlange hatte doch gesagt, ich würde mich entscheiden können, aber in diesem Fall wohl nicht. Wirklich nicht.
Mit Ruthies Tod hatte sich mein Leben verändert; ich hatte mich verändert, und selbst wenn ich mich gegen diese Veränderungen auflehnte, würde mir dies mein altes Leben nicht zurückbringen. Na ja, so toll war es nun auch wieder nicht gewesen.
Sawyer schaute mir prüfend ins Gesicht. Irgendwie musste er darin meine Kapitulation gelesen haben, denn er war aufgestanden. „Es ist Zeit für den Abstieg.“
„Aber ich hatte doch noch gar keine…“
„Das wirst du noch.“
Sein Vertrauen in mich war zwar ermutigend, doch bislang hatte ich noch keine Vision gehabt. Deshalb hätte ich weder Jimmy noch einem von den anderen Dämonenjägern die notwendigen Informationen geben können. Ich hatte diese Macht nicht gewollt, doch da ich sie nun schon einmal hatte, sollte ich auch so mit ihr umgehen können, dass ich und alle anderen mit mir nicht gleich ins Gras bissen.
„Wenn du doch so weise bist“ – ich stand jetzt auch – „warum hast du denn dann keine Visionen?“
„Weil es dir vorherbestimmt war, sie zu haben. Mir war es bestimmt, dich auf den Weg zu bringen.“
Sawyer kniete sich hin und rollte das Bettzeug zusammen. Ich trat mit dem Fuß darauf, sodass er nicht mehr weiterkam, und er schaute zu mir hoch.
„Du wusstest, dass ich durch Sex in den Vollbesitz meiner Kräfte kommen würde.“
Seine Lippen wurden ein schmaler Strich, er setzte sich auf die Fersen. Das Schaffell, das er losgelassen hatte, rollte sich wieder auf und legte sich in lockeren weichen Wellen um seine Knie.
„Das weißt du doch genau.“
„Du tust es also, um die Welt zu retten?“
Er runzelte die Stirn, und in seinem alterslosen Gesicht machte sich Verwirrung breit.
Ich dachte an all die Jahrhunderte, die er schon durchlebt, die Dinge, die er gesehen und die Menschen, mit denen er es getrieben hatte. Am Anfang fand ich es abstoßend, konnte mir dann aber vorstellen, wie schwierig seine Rolle in der Welt gewesen war.
„Für die meisten Menschen geht es bei Sex um Liebe…“ Sawyer schnaubte verächtlich. „Zumindest geht es um Lust, Spaß, eine Beziehung. Das kann nicht so spurlos an dir vorbeigegangen sein.“
Er lachte lauthals. „So schrecklich war es nun auch wieder nicht. Ich bin, wie ich bin.“
„Aber…“
„Ich hätte es auf jeden Fall mit dir getrieben. Das wollte ich schon, als ich dich das erste Mal gesehen habe.“
Ich trat einen Schritt zurück; seine Zähne blitzten bedrohlich, und in seinen Augen lag ein animalisches Funkeln.
„Ich war doch erst fünfzehn“, wies ich ihn zurecht, „und du warst dreihundertundfünfzehn.“
Er erhob sich langsam. „Und du glaubst, das stört jemanden wie mich?“
Irgendwie musste es das aber doch, denn als wir in jenem Sommer alleine zusammen waren, hatte er mich nie unsittlich berührt. Außer in meinen Träumen.
Sawyers Finger schlossen sich um meine Oberarme. „Erwarte nicht von mir, dass ich den Helden spiele. Dazu tauge ich nicht.“
„Ich glaube, du taugst zu wesentlich mehr, als du zugibst.“
Um seinem Argument oder vielleicht auch meinem Ausdruck zu verleihen, stürzte er sich mit dem Mund auf mich. Ich versuchte erst gar nicht, ihm
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