Die Phoenix Chroniken: Blut (German Edition)
Verbindung zu verscherzen.
Hey, ich war tatsächlich lernfähig!
„Kannst du Ruthie herbeirufen?“
Luther runzelte die Stirn. „Jetzt gleich?“
„Nein, ich dachte an den nächsten Freitag. Wenn wir alle tot sind.“
„Du brauchst gar nicht zickig zu werden“, murrte er.
„Offenbar kennst du mich nicht besonders gut.“
Er verzog die Lippen, wenn auch nur ein kleines bisschen. „Ich habe noch nie versucht, sie herbeizurufen . Sie ist einfach …“
„… da“, beendete ich den Satz.
„Genau.“
Mann, wie ich mir wünschte, dass sie gerade jetzt einfach für mich da wäre.
„Schließe die Augen und …“
„Öffne dich“, unterbrach mich Luther. „Ich weiß.“
Da er seit Wochen mit Sawyer arbeitete, war ich sicher, dass er es wusste. Sawyer war ziemlich geschickt darin, sich zu öffnen. Was auch irgendwie saukomisch war, wenn man bedachte, wie verschlossen der Mann eigentlich war.
Luther schloss die Augen, atmete tief ein und aus und wartete. Ich stand hilflos daneben und konnte nur zusehen, hoffen und beten, dass er Erfolg haben würde. Und gleichzeitig hoffte ich auch irgendwie, dass nicht. Ich konnte nur in meinen Träumen mit Ruthie in Kontakt treten. Ich konnte sie also nicht einfach herbeirufen, wenn mir danach war, ganz gleich, wie sehr ich es auch wollte.
Zeit verging. Ich seufzte, riss mich zusammen und öffnete den Mund, um dem Jungen zu sagen, er solle es vergessen, er habe es schließlich versucht. Doch dann begannen seine Augenlider zu flattern. Sie öffneten sich, und die Augen, die mich nun ansahen, waren nicht mehr haselnussbraun, sondern von einem dunklen, waldigen Braun.
Ich presste die Lippen aufeinander und wandte den Blick ab. „Streber“, murmelte ich.
„Lizbeth“, Ruthies Stimme kam aus Luthers Mund, so sanft und freundlich wie ein Frühlingsregen bei Sonnenaufgang. „Eifersucht hilft niemandem.“
Ich zuckte die Schultern. „Ich sollte die mächtigste Seherin vieler Jahrhunderte sein, aber ich kann nicht mehr sehen . Und ich konnte dich niemals so herbeirufen, wie er es tut.“
„Jeder von uns hat seine Begabungen, mein Kind. Deine liegen jetzt gerade in einem anderen Bereich.“
„Werde ich jemals wieder eine Seherin sein?“, fragte ich, überrascht, wie viel Wehmut in meiner Stimme lag.
Früher wollte ich immer nur normal sein, betete zu Gott, dass er die psychometrische Gabe, mit der ich geboren worden war, von mir nehmen möge. Dann hatte ich von Ruthie ihre Gabe erhalten – und auch diese fortgewünscht. Jetzt war diese Gabe aber verschwunden, und ich sehnte mich danach, sie zurückzubekommen.
„Das wird die Zeit zeigen“, sagte Ruthie leise.
Wenn ich die Augen schloss, konnte ich mich in eine Illusion fallen lassen: Ich konnte – für einen Moment – vergessen, dass der Junge als Medium diente, und konnte Ruthie Kane wieder vor mir sehen.
Fast alles an ihr schien irgendwie kantig zu sein – ihr scharfer Verstand, ihre spitzen Ellbogen und Hüftknochen ebenso wie die knorrigen Knie. Ich hatte nie verstanden, wie eine Frau, die nur aus Haut und Knochen zu bestehen schien, zu den weichsten, sanftesten Umarmungen auf diesem Planeten fähig war. Einer Art von Umarmung, für die Menschen lebten – und starben.
Sie schloss mich in die Arme. Der Flaum ihres ergrauenden Haares streifte mein Gesicht, während ich ihrem kräftigen Herzschlag lauschte. Ich vermisste diese Umarmungen entsetzlich.
Dann öffnete ich die Augen. Der Junge sah überhaupt nicht aus wie sie, und wenn ich versuchte, ihn zu umarmen, würde ich mir wohl ein blaues Auge einfangen. Aber wer brauchte schon Umarmungen oder so was. Ich jedenfalls nicht.
Okay, ich hab es mir selbst auch nicht geglaubt.
„Was soll das heißen“, fragte ich, „das werde die Zeit zeigen?“
„Die Zukunft ist … nebulös.“
Ich hob die Augenbrauen. „Ich dachte, die Zukunft wäre festgeschrieben.“
„Das ist sie auch. Nur leider kann sie so, wie sie geschrieben ist“, – Luther breitete die Arme aus – „so ziemlich alles bedeuten.“
Ich rieb mir die Stirn. Warum versuchte ich überhaupt, einen Sinn in meinem Leben zu finden?
„Hör zu“, – ich ließ die Hand sinken – „ich hatte einen …“ Doch ich unterbrach mich und runzelte die Stirn. „Also, ich dachte, ich würde traumwandern, aber …“
Ich erklärte kurz, was ich gesehen hatte und wie ich es gesehen hatte. Luther ließ die Mundwinkel sinken, ganz genau so, wie Ruthie es immer getan hatte, wenn das Leben
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