Die Phoenix Chroniken: Blut (German Edition)
mit leuchtend buntem Gefieder verwandeln und in die Sonne fliegen konnte. Ich wusste gar nicht, warum ich das nicht schon vorher kapiert hatte. Meine einzige Entschuldigung war eine, die ich schon oft angeführt hatte: dass mir nicht so viel Zeit zum Puzzle-Spielen blieb, seit ständig Halbdämonen versuchten, mich umzubringen.
„Und jetzt?“, fragte ich.
„Du musst dich bei den Nephilim einschleusen.“
„Wie bitte?“ Meine Stimme war so laut, dass sie einen Vogel in einem nahe liegenden Gebüsch aufschreckte.
„Was hattest du denn gedacht, wie du an den Schlüssel kämest?“
„Alle umbringen und ihn mitnehmen?“
„Möglich.“ Luthers knochige Schultern wurden gehoben und wieder gesenkt. „Aber es gibt jetzt viel mehr von ihnen als früher, und sie werden mit jedem Tag stärker. Die Chancen stehen besser, wenn du sie unterwanderst.“
„Sie kennen mich doch. Ich kann mich nicht einfach da einschleichen und so tun, als wäre ich einer von ihnen.“
„Doch nicht einschleichen, Kind. Du gehst direkt zur Vordertür und meldest dich freiwillig.“
„Und sie werden mir meinen plötzlichen Gesinnungswandel abkaufen, weil sie sich alle vor Kurzem einer Lobotomie unterzogen haben?“
„Nein, Lizbeth.“ Luther atmete tief ein und langsam wieder aus, blickte erst zum Berg und dann hinauf in den Himmel, dann wieder zum Haus, zum Hogan und schließlich zu mir. „Sie werden es glauben, weil der Phönix deine Mutter ist.“
17
I ch war sprachlos. Womöglich zum ersten Mal. Aber im Ernst, was sollte man auf eine solche Enthüllung auch erwidern?
„Ich … äh …“ Ich blinzelte ein paarmal und beendete den Satz schließlich mit: „Was?“
„Glaubst du, dein Name wurde aus einem Hut gezogen?“
„Schon.“
„Das wurde er nicht.“
Ich rang mit den Worten Sag bloß! , doch wenn ich sie über meine Lippen kommen ließ, würde ich mir nur eine einfangen. Ich schluckte hart. Der Kommentar fühlte sich in meinem Hals zwar wie ein Felsbrocken an, aber ich würgte ihn hinunter.
„Hätte ich das nicht vielleicht erfahren sollen, bevor sie von den Toten auferstanden und mit dem Schlüssel zur Weltherrschaft davongeflogen ist?“ Oder zumindest zur Herrschaft über alle Dämonen.
„Wozu wäre das gut gewesen?“
„Wozu?“ Meine Stimme kletterte in die Höhe, Hysterie brodelte direkt unter der Oberfläche. „Wozu es gut sein sollte? Ich dachte, Wissen wäre Macht?“
„Sie war tot , Lizbeth. Ich hatte doch keine Ahnung, dass sie aus ihrem Grab gekrochen kommen und davonfliegen würde.“
„Ist das nicht der Job eines Phönix?“
„Nicht direkt.“ Luthers volle, junge Lippen verzogen sich in einer Weise, die ganz typisch für Ruthie war. „Ein Phönix tanzt auf den Flammen seines Scheiterhaufens und ersteht dann aus der eigenen Asche auf, um weitere Tausend Jahre zu leben.“
„Schöne Scheiße“, murmelte ich. „Meine Mutter war – ist – ein Nephilim.“
Diese Erkenntnis klang in meinen Ohren ungefähr so, als hätte ich herausgefunden, dass Onkel Charlie, von dem immer alle redeten, mit Nachnamen Manson heißt.
„Nicht direkt“, wiederholte Ruthie.
„ Was direkt?“
„Sie ist andersartig.“
„Wie Sawyer?“
„Niemand ist wie Sawyer.“
Noch so ein Kommentar, der ein Sag bloß verdient hätte, aber keines erhielt.
Ich dachte an das, was ich über diejenigen gelernt hatte, die andersartig waren. Grigori plus Mensch ergibt Nephilim. Nephilim plus Mensch ergibt Kreuzungen. Wenn man aber Nephilim mit Nephilim kreuzte, entstand etwas, das jenseits von Menschen und Monstern war. Ein Wesen, das niemals wirklich eines von beiden sein konnte. Durch die Zusammenführung zweier böser Mächte konnten diejenigen, die andersartig waren, stärker werden als ihre Eltern, immerhin diejenigen, die sie erschaffen hatten.
„Meine Mutter ist andersartig“, murmelte ich. „Das Produkt zweier Nephilim.“
Irgendwo im hinteren Teil meines Verstandes lachte der Dämon los. Ich ignorierte es. Darin wurde ich immer geschickter.
„Welche Art Nephilim?“, fragte ich.
Luther zuckte die Schultern. „Seher sehen die Nephilim, die in der Nähe sind, nicht aber ihren ganzen Familienstammbaum.“
„Irgendjemand sollte das wissen.“
Luthers Blick wanderte wieder zum Berg und dann schnell zu mir zurück. „Vielleicht. Aber ich nicht.“
„Was ist mit meinem Vater?“
„Was soll mit ihm sein?“
„Wer ist er? Wo ist er? Muss ich damit rechnen, dass er demnächst kommen und
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