Die Phoenix-Chroniken: Glut (German Edition)
„Die Navajo glauben an das Böse, deshalb reden sie nicht gerne davon. Manchmal bringt das Reden darüber“ – er senkte die Stimme und vermied es ganz offenkundig, Saywer dabei anzusehen – „das Böse zum Vorschein.“
„Hoffen wir es nicht“, murmelte ich und Whitelaw erschauderte, sodass mir der Gedanke kam, ob sein Rumgequatsche über übersinnliche Phänomene, seine Niederschriften der Legenden nicht vielleicht etwas ans Licht gezerrt hatte, das besser im Verborgenen geblieben wäre.
„Als ich an meinem Buch über Offenbarungen gearbeitet habe“, fuhr er fort, „bin ich einem Rabbi begegnet, der eine sehr interessante Theorie vom Ende der Welt hatte. Er sagte, es würde zur letzten Schlacht zwischen Gut und Böse kommen.“
„Was soll daran so besonders interessant sein?“
„Diese Begriffe hat er nicht benutzt. Er sprach von Dunkelheit und Licht . Das Licht sei der einzige Weg, die Dunkelheit zu bekämpfen. Das Licht müsste …“ Whitelaw blinzelte, schloss die Augen und platzte dann mit dem Rest heraus. „… die Dunkelheit annehmen und würde dadurch selbst zur Dunkelheit werden. Nur so kann das Böse vernichtet werden.“
„Werden“, wiederholte ich und warf dabei einen schnellen Blick auf Saywer. Der zuckte nur die Achseln, doch seine Augen waren nicht auf mich, sondern immer noch auf Whitelaw gerichtet, so als würde er dem Mann gerne irgendetwas sehr Unangenehmes zufügen.
Luther stand zwischen uns, mit dem Rücken zu mir, die Augen auf Saywer geheftet. Ich hatte mich geirrt. Der Junge war nicht beim ersten Anzeichen von Ärger verschwunden, sondern hatte sich ihm gestellt. Ich war schwer beeindruckt.
„Ich hatte keine Ahnung, was er damit meinte“, sagte Whitelaw nachdenklich. „Diese alten Sprachen sind schwer verständlich, manchmal sind die Übersetzungen auch fehlerhaft, und die Dialekte werden durcheinandergebracht.“
Whitelaw schnatterte einfach immer weiter. Und je länger ich hier war, desto mehr bekam ich den Eindruck, dass auch er seherische Fähigkeiten besaß. Auf jeden Fall spürte er die Ich-bringe-dich-gleich-um -Vibes, die Saywer verströmte wie beißenden Achselschweiß.
„Dieser Rabbi“, sagte ich. „Wo hält er sich auf?“
Whitelaw zuckte zusammen. „Er wurde umgebracht. Auf eine sehr mysteriöse Weise. Wilde Hunde.“
„Ich war’s nicht“, grummelte Saywer.
Whitelaw öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber wieder. Kluges Kerlchen.
„Hat der Rabbi gesagt, woher er seine Informationen hatte?“
„Aus einem Grimoire.“
„Häh?“
„Einem Hexenbuch. Zumeist handelt es sich dabei um Anweisungen, wie man Engel und Dämonen heraufbeschwört.“
„Handelt?“ Ich richtete mich auf. „Diese Anweisungen existieren noch?“
„Teilweise. In Übersetzungen. Deshalb war sich der Rabbi auch des genauen Wortlauts nicht ganz sicher.“ Der Professor runzelte die Stirn. „Ich weiß gar nicht, warum er mir überhaupt davon erzählt hat. Aber irgendwie schien er wild entschlossen, dass ich es erfuhr.“
In mir festigte sich der Glaube, dass dieser Rabbi einer von uns war, und er hatte gewusst, dass ich oder sonst jemand eines Tages bei Whitelaw auftauchen und genau diese Information brauchen würde. Also hatte er es vor seinem Tod noch dem Professor erzählt. Allem Anschein nach hatten ihn Gestaltwandler auf dem Gewissen. Werwölfe, Kojoten, besessene Welpen – ganz gleich. Er war jedenfalls tot.
„Haben Sie vielleicht eine Abschrift von dem Grimoire, das er benutzt hat?“
Whitelaw schüttelte den Kopf. „Er hatte es im Schlüssel zu Salomon gelesen, einem Buch, das angeblich von König Salomon stammt. Es wimmelt nur so vor Übersetzungen und Auszügen daraus. Doch diese besondere Stelle“ – Whitelaw biss sich auf die Lippen – „er hat mir geschworen, dass er die aus dem Original hatte.“
„Und wo befindet sich das Original?“
„Es existiert gar nicht. Oder besser gesagt, bislang hat es noch niemand gefunden.“
Verdammt, konnte nicht mal jemand eine neue Platte auflegen?
„Die Übersetzungen stammen aus dem Mittelalter“, setzte Whitelaw fort.
„Und seitdem hat es niemand zu Gesicht bekommen?“
„Außer Rabbi Turnblat. Er hat darauf bestanden, dass er im originalen Schlüssel zu Salomon gelesen hat, wie man die Dunkelheit besiegt.“
„Glauben Sie ihm?“
„Wenn es so war, dann muss dieses Buch verschwunden sein. Denn es fand sich nicht mehr in seinem Besitz, als er starb.“
Weil seine Mörder
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