Die Phoenix-Chroniken: Glut (German Edition)
das denn möglich sein konnte, aber solange wir dorthin gelangten, wo wir hin wollten, und zwar pronto, spielte es keine Rolle.
Als die Morgendämmerung die Skyline von Louisville erhellte, fuhren wir bereits auf einen Parkplatz und begaben uns gleich darauf zur Abflughalle. Ich hatte in der Turnhalle von Brownport College in einer der Umkleidekabinen geduscht, während Saywer und Luther Wache geschoben hatten.
Da es zu diesem Zeitpunkt schon lange nach Mitternacht war, trafen wir dort auf keine Menschenseele. Aber ich musste mir unbedingt alle Spuren meiner Eintrittskarte zum Traumwandeln abwaschen, bevor wir irgendwo auftauchten. Eine Reise anzutreten – ob nun im Flugzeug oder im Auto – und dabei auszusehen, als sei man gerade als Verlierer aus einem sehr blutigen Kampf hervorgegangen, war keine gute Idee. Klar, wir konnten uns mit Gewalt und Zauberei aus brenzligen Situationen befreien, aber das kostete Zeit. Und Zeit war Mangelware.
Keine Ahnung, woher ich das wusste, ich wusste es einfach. Seit ich unter einem glänzenden Mond mit einem Teil meines Gehirns außerhalb statt innerhalb meines Kopfes aufgewacht war, spürte ich den feurigen Atem eines Drachen in meinem Nacken. Mit anderen Worten, ich musste handeln – und zwar schnell.
Im internationalen Flughafen von Louisville machte ich kurz an einem Kiosk Halt, um ein paar Schlagzeilen zu lesen.
ERDBEBEN IN DER ANTARKTIS.
WIRBELSTURM IN INDIEN.
SCHNEESTURM IN KENIA.
Und im Fernsehen sah es noch schlimmer aus. Aufstände. Morde. Feuersbrünste. Gern hätte ich behauptet, es sei ein Tag wie jeder andere, aber die Moderatoren konnten mit den Nachrichten kaum mithalten. Eine Schreckensmeldung jagte die nächste.
„Chaos“, flüsterte ich.
„Der Jüngste Tag“, sagte Saywer.
Die Dringlichkeit, die ich auch früher schon verspürt hatte, verstärkte sich nun noch. Wenn sie nicht in diesem Augenblick unseren Flug ausgerufen hätten, wäre ich vielleicht als Frau in den Toiletten verschwunden und als etwas anderes wieder herausgekommen.
Die Zeit lief auf unserer Reise nach Westen rückwärts. Als wir in Albuquerque landeten, hatten wir mehrere Stunden gewonnen, dennoch waren auch mehrere Stunden schon vergangen, also hatte sich das Chaos weiter ausgebreitet.
Während wir durch den Flughafen von Albuquerque liefen und auf den Autoverleih zusteuerten, schnappte ich einige Brocken anderer Gespräche auf.
„In Israel ist was hochgegangen.“
Nichts Neues.
„In London, Paris, Rom und Madrid auch.“
Fluchend schaute ich auf die Bildschirme. Rauchwolken quollen aus wohlbekannten Gebäuden. Überall huschten Angehörige von Polizei und Militär wie Ameisen umher.
„Hier ist bis jetzt noch nichts passiert“, raunte jemand.
Bis jetzt , dachte ich.
„Die Welt spielt verrückt.“
„Hast du etwas anderes erwartet?“, fragte Saywer.
Eigentlich nicht.
„Warum haben sie sich denn für eine Weile zurückgehalten?“
„Ich bin mir nicht sicher, ob das stimmt. Du wurdest durch das Amulett blockiert, und ich glaube, andere ebenso.“
„Nur weil wir in unseren Visionen das Chaos nicht gesehen haben, heißt das ja noch lange nicht, dass es das nicht gab.“
„Die Welt steht kopf. Bis jetzt alles vollständig außer Kontrolle geraten ist“, er deutete mit dem Kinn zum Fernseher, „war es aber immer bloß ein ganz normaler Tag bei CNN.“
Vielleicht hatte er recht. Oder die Menschen haben sich vom Bösen der Nephilim anstecken lassen. Oder die Nephilim waren außer Rand und Band geraten. Und warum auch nicht? Schließlich war ihre Zeit gekommen, schon bald würden ihre Schöpfer die Erde überziehen, und die Seelenlosen wären in der Überzahl.
Es sei denn, mir gelänge es, Dunkelheit und Licht zugleich zu sein. Diese grauenhafte Schlampe würde ich in den Höllenschlund werfen, und zwar zusammen mit ihren Freunden! Dann verschlösse ich alle Risse in der Pforte und würfe den Schlüssel weg. Wenn das kein Plan war!
„Klein, mittelgroß, groß, luxuriös?,“ fragte die Frau vom Autoverleih.
„Wie heißen denn diese brandneuen Dinger, die wie ein Panzer auf Brummireifen aussehen?“, fragte Saywer.
„Hummer?“
Irritiert zog Saywer die Brauen hoch. „Unter Hummer habe ich mir immer etwas ganz anderes vorgestellt.“
Da ich Saywer kannte, wusste ich natürlich ganz genau, was er meinte.
Die Frau vom Verleih offenbar auch. Sie musterte Saywer von oben bis unten. Selbst in seiner billigen Supermarkttouristenkluft wirkte er schärfer
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