Die Phoenix-Chroniken: Glut (German Edition)
an. Sie meldete sich nicht. Wahrscheinlich beanspruchte das Fliegen, selbst ohne Flugzeug, ihre ganze Aufmerksamkeit, und sie ließ die Anrufer auf Band sprechen.
Saywer kam gerade herein, als ich meine Nachricht hinterließ. Sein dunkler Pelz war mit Grashalmen, Blütenstaub und sogar ein paar Kletten übersät. Eigentlich hätte ich ihn bürsten sollen, bevor wir wieder ins Auto stiegen.
Dann aber schüttelte ich den Kopf. Schließlich konnte ich einen wilden Wolf nicht wie ein Schmusetier behandeln. Sonst würde er mich noch beißen oder gar Schlimmeres.
„Summer“, sagte ich, als ihre „Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht“-Nachricht geendet hatte. „Ruf mich an, wenn du das abhörst. Ich …“ Ich zögerte, so ungern ich es auch zugab, fand ich doch keine anderen Worte, um mein Anliegen auszudrücken, nur diese: „Ich brauche deine Hilfe.“
Saywer grunzte. Ich sah zu ihm hinüber. Von Jenny, der toten Seherin, wusste er noch nicht, also weihte ich ihn ein. Irgendwie fühlte es sich seltsam an, mit einem Wolf zu reden. Aber ich wusste ja, dass er mich verstand. Nur dass er nicht antworten konnte. Jedenfalls nicht mit Worten.
In Taten machte er sich sehr verständlich. Sobald ich fertig war, schnappte er sich meine Jeans, zerrte sie im Maul über den Teppich und ließ sie auf meine nackten Füße fallen. Die Botschaft war eindeutig.
Zieh dich an und setz deinen Hintern in Bewegung.
Ich war ja so versucht, auf der Stelle nach Milwaukee zurückzufahren, um Megan eigenhändig zu beschützen. Aber mit diesem verlockenden Gedanken kam gleichzeitig die Einsicht, dass ich der Frau aus Rauch damit in die Hände arbeiten würde.
So recht wusste ich nicht, warum sie mir noch nicht wieder auf die Spur gekommen war, wahrscheinlich lag es an Saywer oder dem Türkis oder an beidem. Wenn ich mich ablenken ließ oder einen Rückzieher machte, käme es zu einer Katastrophe.
Innerhalb der nächsten halben Stunde waren Saywer und ich reisefertig. Am Tresen schnappte ich mir noch einen Gratis-Kaffee und ein ekelhaftes, in Plastik verschweißtes dänisches Käsesandwich für unterwegs. Für Saywer nahm ich auch noch eines mit, aber der rümpfte nur die Nase, also aß ich seines auch noch. Ich konnte mich schon gar nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal überhaupt etwas gegessen hatte.
Bestimmt hatte Saywer die Zeit im hohen Gras gut genutzt und nicht nur sein Geschäft verrichtet, sondern auch den ein oder anderen Hasen oder eine Maus gemampft. Wie eine Maus leckerer sein konnte als ein durchweichtes Käsesandwich, konnte ich zwar nicht ganz nachvollziehen, aber vielleicht würde ich ja anders darüber denken, wenn ich spitze Ohren und einen Schwanz hätte.
„Sobald wir deine Mutter ins Jenseits befördert haben, müssen wir uns eine bessere Methode überlegen, mit den Sehern in Kontakt zu kommen. Einen Plan entwerfen: für den Notfall.“
Wie so vieles in der Welt war der jetzige vollkommen bescheuert. Die Menschen waren nicht vollkommen und ihre Pläne erst recht nicht.
Saywer, der die ganze Zeit mit seinem Kopf aus dem Fenster gehangen hatte, zog ihn wieder herein und wartete darauf, dass ich weiterredete.
„Ich weiß, unser ganzes Leben ist ein einziger Notfall, trotzdem sind Handys und E-Mails wahrscheinlich nicht die beste Lösung. Ich denke mir, dass die Nephilim mit ihrem mehr als langen Leben technisch bestimmt ziemlich hochgerüstet sind.“
Handys konnte man orten. Monster mit ihrem ungewöhnlich guten Gehör konnten Gespräche belauschen, die sie ganz und gar nichts angingen. Und Hacker gab es in allen Gestalten, Größen und übernatürlichen Ausführungen.
Kurz vor Mittag trudelten wir in Detroit ein. Die Trulia Street lag in einer eher zwielichtigen Nachbarschaft, die Häuser standen dicht aneinandergedrängt, dazwischen gab es nur wenig Platz. Rings um den grauen Bungalow war das Gras vertrocknet, und die roten Fensterläden dienten lediglich dazu, die Aufmerksamkeit auf die Gitter an den Fenstern zu lenken.
Als wir klingelten, ertönte von drinnen das Knurren eines riesigen Köters. Saywers Nackenhaare stellten sich auf. Er zwängte sich zwischen mich und die Tür und drängelte mich ab, sodass ich fast rückwärts die Verandatreppe heruntergepurzelt wäre.
Ein gleitendes Geräusch, gefolgt von einem Klicken, entblößte einen Türspion in Augenhöhe. Im Inneren des Hauses war es so dunkel, dass ich im trüben Licht der Sonne, deren Strahlen durch die Wolkendecke auf das Glas
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