Die Phoenix-Chroniken: Glut (German Edition)
kam mir ein neuer Gedanke; mit großen Schritten ging ich quer durchs Zimmer und riss aus der Tasche meiner achtlos dahingeworfenen Jeans Jimmys Liste. Mittendrin stand Jennys Name. Kein Wunder, dass er mir bekannt vorgekommen war.
Jenny war eine Seherin aus Cleveland, offenbar hatte sie meine E-Mail und meinen Anruf mit der Warnung, sich von mir fernzuhalten, nicht bekommen. Ich hatte das ungute Gefühl, andere könnten ihr folgen.
Die meisten Seher besaßen keine übernatürliche Kraft und Schnelligkeit, konnten sich also nicht wie ich gegen die bösen Jungs verteidigen, deshalb war Ruthie damals auch die Einzige gewesen, die alle namentlich gekannt hatte. Selbst wenn sie sich in der Regel nicht ohne den Schutz eines Dämonenjägers heraustrauten, Jennys Jäger mussten alle tot sein.
Ich konnte mir genau vorstellen, was passiert war. Jenny hatte sich versteckt gehalten, abgeschnitten von allen, die sie kannte. Verwirrt, einsam und verängstigt hatte sie so lange gewartet, bis sie es nicht mehr ausgehalten hatte, und war dann Hilfe suchend zu mir gekommen.
Wahrscheinlich hatte sie vor meiner Tür gestanden, geklingelt und dann die flüsternde Ankündigung eines Dämonen gehört. Verzweifelt hatte sie nach mir gerufen, geschrien, vielleicht auch geweint, während die Frau aus Rauch sie lächelnd in Stücke gerissen hatte.
Manchmal war es echt zum Kotzen, die Anführerin des Lichts zu sein.
„War es diese Nai… Ne… Neph.“ Mit einem verärgerten Grunzen brach sie ab. „War es diese durchgeknallte Geisterschlampe?“
„Ja.“ Entweder sie oder einer ihrer Lakaien. Spielte auch keine Rolle mehr. Jenny war tot.
„Liz?“, murmelte Megan. „Was geht hier vor?“
„Sie war eine Seherin, so wie ich.“
In der Zwischenzeit hatte ich meinen Laptop herausgekramt, wartete, bis er hochgefahren war, und versuchte dann online zu gehen. Ich schaute in meine E-Mails. Drei Seher hatten bislang geantwortet, wollten im Untergrund bleiben. Ihre verbliebenen Dämonenjäger konnten sie auch von dort aus dirigieren, und sie meldeten, dass schlagartig viel zu tun sei. Offenbar hatten sich die Nephilim neu formiert und veranstalteten jetzt einen Wandertag.
Ich seufzte. Mit den Kräften, die uns zur Verfügung standen, konnten wir nur versuchen, das Schleusentor weitestgehend abzudichten. Mehr vermochten wir nicht zu tun.
Ich hatte zwar auf mehr Antworten gehofft – Scheiße, ich hatte mit hundert Prozent gerechnet –, aber außer diesen drei E-Mails war nur Spam gekommen.
„Megan“, sagte ich, „vielleicht kommen noch mehr.“
Wie sollte ich sie auch davon abhalten?
„Dein Haus ist mit leuchtend gelbem Klebeband von der Polizei abgeriegelt. Das könnte selbst ein Blinder aus der Raumfähre erkennen. Wenn ich ein übersinnlicher Superseher auf der Flucht vor den Bösen wäre, würde ich einen Blick darauf werfen und die Beine in die Hand nehmen.“
Da hatte sie recht. Meine Laune besserte sich etwas, aber nur für kurze Zeit.
„Sie könnten in die Kneipe kommen. Wahrscheinlich hat sie da jemanden zur Beobachtung abkommandiert.“
Zwar glaubte ich nicht, dass sich die Nephilim mit Megan abgeben würden, andererseits töteten sie auch gerne nur so zum Vergnügen.
„Ich möchte nicht, dass dir etwas zustößt.“
Am liebsten hätte ich einen Dämonenjäger auf einem der Barhocker dort postiert, aber ich hatte keinen übrig.
„Ich komme schon zurecht.“
Dazu sagte ich nichts. Megan war hart im Nehmen, aber so hart nun auch wieder nicht.
„Ich treibe Unterstützung auf.“ Wen, wusste ich noch nicht.
„Ich sag doch, ich komme zurecht.“ Megan wurde langsam unwirsch. Sie konnte es gar nicht leiden, wenn man durchblicken ließ, dass sie nicht selbst auf sich, die Kinder, die Kneipe oder sonstige Dinge, die sie ihr eigen nannte, aufpassen konnte.
Genau wie ich.
„Ja, bestimmt“, log ich. „Aber wenn die Nephilim einen Speichellecker schicken, dann kann ich genauso gut einen Dämonenjäger schicken, der den umlegt und alles, was sonst noch so aufkreuzt. So läuft das Geschäft nun mal.“
„Oh“, sagte Megan langsam. „Na gut, das klingt plausibel.“
Jetzt brauchte ich bloß noch jemanden zu finden. Mir fiel ein, dass Summer eigentlich ein paar Dämonenjäger kennen sollte, schließlich war sie schon seit Jahrzehnten im Geschäft. Vielleicht hatte sie auch bessere Möglichkeiten, Kontakt aufzunehmen. Man kann ja nie wissen.
Sobald ich das Gespräch mit Megan beendet hatte, rief ich also Summer
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