Die Phoenix-Chroniken: Glut (German Edition)
Zweifel, ob es wirklich der Wind war, den ich hörte.
Und dann gab es da noch meine unausgesprochenen Sorgen. Würden wir gewinnen? Wer alles müsste sterben? Wie viele würden sterben?
Erschöpft fiel ich in einen unruhigen Schlaf. Eigentlich hätte ich wissen müssen, dass Ruthie kommen würde.
Ich öffnete das weiße Tor, ging den makellosen Gartenweg entlang, es roch hoffnungsvoll nach Sommer und Blumen. In Ruthies Himmel regnete es niemals, immer schien die Sonne. Schließlich war es ja auch der Himmel.
Ruthie war mit den Kindern hinten im Garten, es waren jetzt mindestens ein Dutzend. Waren sie alle aus Lake Vista gekommen? Ich hasste es wie die Pest, wenn es bei Ruthie voll war. Ein Fest der Schuldgefühle, eigens für mich ausgerichtet.
Ich setzte mich neben sie auf die Bank an der Hauswand, das überspringende Dach warf einen weichen Schatten über uns. Unsere Arme berührten sich. Sie war aus Fleisch und Blut, genau wie ich. Alles hier war ganz genau so wie auf der Erde, auch wenn es ganz anders wirkte.
Ruthie zum Beispiel sah aus wie eh und je, nur dass sie tot war. Das Haus unterschied sich von dem, in dem sie gestorben war, dennoch war es immer noch ihr Haus. Diese Visionen waren eine Art Traum – eine Mischung aus Vertrautem und Fantastischem. Gleichzeitig war mir aber auch klar, dass diese Visionen real waren.
„Weißt du irgendetwas über die satanischen Prophezeiungen?“
„Mmm – hmm“, murmelte Ruthie mit geschlossenen Augen, den Kopf an die weiße Aluminiumlehne gelehnt.
„Du hast es also nicht für nötig gehalten, mir davon zu erzählen?“
„Wozu denn, Kindchen?“ Ruthie öffnete ein Auge. „Das Ding wurde doch nie gefunden.“
„Woher weißt du das?“
„Meinst du etwa, wir wären dann noch am Leben?“
„Du bist gar nicht mehr am Leben“, stellte ich richtig.
„Aber nicht wegen des Buches von Samyaza.“
„Samyaza ist ein anderes Wort für Satan?“
„Ja.“ Ruthie öffnete jetzt beide Augen und setzte sich auf, warf dabei einen kurzen Blick zu den Kindern hinüber.
Gerade hatten sie begonnen, auf einem grasbewachsenen Hügel, der vor fünf Minuten noch nicht da gewesen war, König der Berge zu spielen. Als ich kam, hatten sie nämlich auf dem Innenfeld, das nun plötzlich verschwunden war, Softball gespielt. Das nenne ich einen himmlischen Spielplatz!
„Samyaza war der Führer der irdenen Engel“, fuhr Ruthie fort. „Auf Hebräisch bedeutet sein Name Widersacher .“
„Widersacher, Zerstörer. Was heißt denn auf Hebräisch Arschloch ?“
Ruthies Kopf fuhr zu mir herum. Sie würde sich nicht scheuen, mir einen Klaps auf den Mund zu geben, wenn es die Situation erforderte. Aus ihrem Gesichtsausdruck schloss ich, dass ich gefährlich nahe an dieser Situation vorbeigeschrammt war.
„Wozu die verschiedenen Namen?“, fragte ich zerknirscht.
Ruthie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder den Kindern zu. Alle spielten zusammen – Krabbelkinder und Teenager. Immer wenn wir damals auf einem der Schneehügel, die der städtische Winterdienst mit seinen Schneepflügen hinterlassen hatte, König der Berge spielenwollten, machte uns Ruthie einen Strich durch die Rechnung, einfach weil es zu gefährlich war.
Irgendjemand kommt zu Schaden, und dann ist das Geschrei groß.
Für das Jugendamt warfen gebrochene Gliedmaßen ein schlechtes Licht auf die Pflegefamilie. Traurigerweise waren es meistens keine Unfälle.
Zweifellos konnten sich die Kinder hier aber nicht den Arm brechen, ganz gleich, was sie anstellten. Also war König der Berge , selbst wenn man es mit Kindern spielte, die dreimal so alt und fünfmal so schwer wie man selbst waren, kein bisschen gefährlich. Ich beneidete sie, außer dass sie tot waren.
„Den wahren Namen vom Teufel kennt nur Gott“, antwortete Ruthie, „der hat ihm alle Namen genommen, als er aufbegehrte.“
„Woher kommt denn Satan ?“
„Das hebräische Wort für den Teufel war Ha Satan . Luzifer wurde er von den Babyloniern genannt. Er hat behauptet, der Engel des Lichts zu sein, der Morgenstern.“
„Wann genau hat er das denn behauptet?“
„‚Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern!‘“, zitierte Ruthie. „Jesaja 14, 12.“
„Daran kann ich mich gar nicht erinnern.“
Ruthie kniff die Augen zusammen. „Hättest du mal besser aufgepasst in der Kirche.“
„Ich wusste, dass ich das mal bereuen würde.“ Vielleicht noch nicht damals, aber ganz bestimmt jetzt. War das nicht immer so? Die Kirche
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