Die Phoenix-Chroniken: Glut (German Edition)
Auch wenn ihm hin und wieder wohl nichts anderes übrig blieb, und sei es nur, um Eier und Kaffee zu kaufen.
Sicher, Saywer war schon Gott weiß wie lange im Land der Diné eingepfercht, aber immerhin war das Gebiet der Navajo so groß wie West Virginia, also musste es dort auch haufenweise Einkaufszentren geben – bestimmt einen oder zehn Wal-Marts. Und nach den Tüten zu urteilen war er in genau so einem Wal-Mart gewesen.
Ich schüttete mehrere Tüten aus. Klamotten kamen herausgepurzelt. Unterwäsche, Schuhe, Socken, auch Toilettenartikel. In seinen Beuteln waren Lebensmittel. Winzige Schokoladendonuts und Bananen, Müsli – nicht für mich – , dann noch Saft und eine Packung Zigaretten.
Ich hielt sie hoch. „Ist das dein Ernst?“
Er sah mich mitleidig an. Dumme Frage. Wahrscheinlich war er schon halb wahnsinnig vor Gier, nachdem er die ganze Zeit ohne Kippen herumgehoppelt war.
Ihm eine Predigt über die Gefahren des Rauchens zu halten ließ ich lieber sein. Schließlich arbeitete ich selbst in einer Kneipe. Raucher blieben Raucher. Und die, die aufgehört hatten, würden auch noch fröhlich weiterrauchen, wenn es nicht diesen allgegenwärtigen Spielverderber geben würde: Lungenkrebs. Da Saywer diese Art von Sorgen fremd waren, warf ich ihm die Packung zu.
„Irgendetwas von ihr zu sehen?“, fragte ich.
Saywer schüttelte den Kopf.
„Du bist ein ganz schönes Risiko eingegangen, so ganz alleine unterwegs.“
Seine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. „Glaubst du etwa, du kannst mich beschützen?“
Wohl eher nicht, aber …
„Sie hätte dich umbringen können. Dann wäre sie mir nachgestiegen.“ Mit den Fingern umspielte ich den Türkis. „Funktioniert das Ding auch noch, wenn du tot bist?“
Er zuckte mit den Schultern. Ich glaube, in Saywers Sprache bedeutete das ein Nein.
Ich stopfte mir einen Donut rein, schüttete Saft hinterher, sehnte mich nach einem Kaffee und setzte den klitzekleinen Topf im Badezimmer auf.
„Warum hat sie dich noch nicht kaltgemacht?“ Ein kleiner Sohnizid – oder wie immer man es nannte – würde die Frau aus Rauch doch nicht schrecken. Meiner Meinung nach hatte sie schon Schlimmeres getan – bei diesem Gedanken verging mir die Lust auf meine Schokodonuts.
Saywer sah von seiner Schüssel mit Gras und Tannenzapfen, ich meine Müsli, auf. „Ich hab dir doch gesagt, sie will meine Kräfte.“
Und die bekam sie nur, wenn sie ihn auf ihre eigene Seite lockte oder ihn umbrachte – und somit von unserem Gehaltszettel strich. „Trotzdem verstehe ich nicht, warum sie dich nicht mal mit einem Blitz oder so bombardiert hat.“
„Sie glaubt immer noch, sie könnte mich von ihrer Sicht der Dinge überzeugen.“
Ich ging ins Badezimmer und füllte Kaffee in zwei Styroporbecher. Mir war nicht ganz wohl bei seinen Worten. Die Frau aus Rauch kam mir nicht gerade wie die ewige Optimistin vor. Das hieß, die Chancen, dass Saywer zum Verräter würde, standen überdurchschnittlich gut.
Verdammt, ich sollte ihn eigentlich beseitigen. Nur, dass ich immer noch nicht wusste, wie.
Ich kehrte ins Zimmer zurück und reichte Saywer seine Tasse.
„Ich werde ihr nicht helfen“, sagte er sanft.
Saywer beharrte darauf, nicht Gedanken, sondern Gesichter zu lesen, und meines war ein offenes Buch. Aber manchmal war ich doch skeptisch.
„Meinst du, ich könnte das, nach dem, was sie mir alles angetan hat?“
Ich blickte unverwandt zurück – und alles, was ich in seinen Augen sah, war Ehrlichkeit, die mir wiederum nicht geheuer vorkam, weil er doch gar nicht wissen konnte, was Ehrlichkeit war. Und ich konnte ihm dafür ja keinen Vorwurf machen – böse Psychoschlampen waren berüchtigte Lügnerinnen. Gegenfragen halfen mir einfach nicht weiter, ich brauchte Antworten.
„Jimmy hat gesagt, du bist kein Mitglied der Föderation und bildest Seher und Dämonenjäger gegen Geld aus.“
„Und?“
„Das Credo Wer nicht für uns ist, ist gegen uns gilt auch für dich.“
„Wo bin ich denn jetzt, wenn nicht hier bei dir?“
„Immer nur Gegenfragen“, murmelte ich. Er ignorierte mich.
„Du sagst, du würdest nicht zur Frau aus Rauch überlaufen, aber Anführer kommen und gehen. Bist du schon einmal jemandem gefolgt? Und würdest du dich in der Zukunft einem vielversprechenden, aufstrebenden Anführer anschließen?“
Er trank einen Schluck Kaffee. „Schwer zu sagen.“
Am liebsten hätte ich jetzt mit dem Fuß aufgestampft und ihm irgendetwas an den Kopf
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